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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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Notizbuch flatterte wie ein verletztes Vögelein in das Gewirr von Trümmern nebenan. »Die Mittagspause
ist vorbei!« Er schritt zu Donnini und Kniptash und schnappte sich die Notizbücher. Er stopfte sich die Bücher in die Brusttasche. »Jetzt zeichnen wir schöne Bilder!
Zurück an die Arbeit, verstanden?« Mit großer Gebärde befestigte er ein Bajonett von phantastischer Länge an seiner Flinte. »Auf geht’s! Los! «
    »Was ist denn in den gefahren?« sagte Kniptash.
    »Ich habe ihm nur das Bild eines Kuchens gezeigt, und schon geht er in die Luft«, beschwerte sich Coleman. »Nazi«, sagte er lautlos.
    Donnini ließ die Buntstifte in seine Tasche gleiten und suchte Kleinhans’ entsetzlichem flinken Schwert zu entkommen.
    »Die Artikel der Genfer Konvention besagen, daß Gefreite für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Arbeiten!« sagte Stabsunteroffizier Kleinhans. Er hielt sie den
ganzen Nachmittag lang am Schwitzen und Grunzen. Sobald einer der drei eine Neigung zum Sprechen zeigte, bellte er einen Befehl. »Sie da! Donnini! Hier, heben Sie den tiefen Teller mit
Spaghetti auf«, sagte er, indem er mit der Zehenspitze auf einen großen Felsbrocken deutete. Schwungvoll ging er zu zwei unförmigen Dachsparren hinüber, die auf der anderen
Straßenseite lagen. »Kniptash und Coleman, meine Lieben«, säuselte er und klatschte in die Hände, »hier sind die Schokoladen-Eclairs, von denen Sie geträumt
haben. Für jeden eins.« Er näherte sein Gesicht dem Gesicht Colemans bis auf einen knappen Zoll. »Mit Schlagsahne«, flüsterte er.
    Es war eine rechtschaffen niedergeschlagene Mannschaft, die an jenem Abend in die Einfriedung des Gefangenenlagers latschte. Vorher hatten Donnini, Kniptash und Coleman peinlich genau darauf
geachtet, praktisch hinkend einzurücken, als wären sie von unerträglich harter Zwangsarbeit und nie nachlassender Disziplin geschlaucht. Kleinhans, seinerseits, war dadurch angenehm
aufgefallen, daß er sie anblaffte wie ein schlechtgelaunter Hütehund, während sie zum Tor hereintaumelten. Jetzt wirkten sie wieder wie vorher, aber die Tragödie, die sie zu
verkörpern suchten, war real.
    Kleinhans riß die Barackentür auf und hieß sie mit gebieterischer Gebärde eintreten.
    » Achtung! « schrie eine hohe Stimme aus dem Innern. Donnini, Coleman und Kniptash blieben stehen, und zwar krumm, die Hacken mehr oder weniger nah beieinander. Mit einem Knarren von
Leder und einem Knallen der Hacken rammte Stabsunteroffizier Kleinhans seinen Flintenkolben auf den Fußboden, stand so gerade, wie sein alter Rücken es zuließ, und zitterte leicht.
Die unangemeldete Inspektion eines deutschen Offiziers war gerade im Gange. Einmal im Monat war damit zu rechnen. Ein kleiner Oberst in Mantel mit Pelzkragen und schwarzen Stiefeln stand, die
Füße weit gespreizt, vor einer Reihe Kriegsgefangener. Neben ihm war der dicke Wachfeldwebel. Alle starrten Stabsunteroffizier Kleinhans und die ihm Anvertrauten an.
    »Nun«, sagte der Oberst auf deutsch, »was haben wir denn da?«
    Der Feldwebel erläuterte gestenreich und eilig, wobei seine braunen Augen um Billigung flehten.
    Der Oberst spazierte langsam über den Zementfußboden, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Vor Kniptash blieb er stehen. »Ein pöser Pube kefesen,
wie?«
    »Jawoll, Sir, stimmt genau«, sagte Kniptash schlicht.
    »Und jetzt tut es Ihnen leid?«
    »Jawoll, Sir, ganz bestimmt.«
    »Gut.« Der Oberst umkreiste die kleine Gruppe mehrmals, summte vor sich hin und blieb einmal stehen, um Donninis Hemdstoff zu befingern. »Ssie verstehen mich, fenn ich Enklisch
spreche?«
    »Jawoll, Sir, es ist sehr deutlich«, sagte Donnini.
    »Nach felchem Teil von Amerika klinkt mein Agzent?« fragte er eifrig.
    »Milwaukee, Sir. Ich hätte schwören können, daß Sie aus Milwaukee stammen.«
    »Ich könnte als Spion in Milvaukee arbeiten«, sagte er stolz zum Feldwebel. Plötzlich fiel sein Blick auf Stabsunteroffizier Kleinhans, dessen Brustkorb sich kurz unterhalb
seiner Augenhöhe befand. Seine gute Laune verflog. Er schlich zu Kleinhans hinüber, um sich direkt vor ihm aufzubauen. »Stabsunteroffizier! Die Brusttasche Ihrer Feldbluse ist nicht
zugeknöpft!« sagte er auf deutsch.
    Kleinhans’ Augen waren weit aufgerissen, als er nach der anstößigen Brusttasche griff. Fieberhaft versuchte er, das Oberteil zum Knopf herunterzuziehen. Es reichte nicht, die
Tasche war zu prall gefüllt.
    »Sie haben etwas in Ihrer Tasche!«

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