Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
soweit!«
»Was ist soweit?« sagte Coleman aufgeregt und griff an die Stelle, an der sein Notizbuch gewesen war.
»Der Sauerbraten!« schrie Kleinhans.
»Für wie viele Personen?« fragte Kniptash.
»Nur für zwei, mein Junge. Tut mir leid.« Kleinhans legte Donnini die Hand auf die Schulter. »Genug Sauerbraten für zwei hungrige Künstler –, was,
Donnini?« Er blinzelte Kniptash zu. »Für Sie und Coleman werde ich etwas sehr Sättigendes anrichten. Wie wär’s mit zwölf Pfannkuchen, und dazwischen je eine
Scheibe Oberst, und obendrauf kommt ein dicker Klecks heißer Sirup, was?«
SEIEN SIE NICHT BEUNRUHIGT .
DER MANN , DER IHNEN DIESEN
ZETTEL GEGEBEN HAT , IST
LUFTSCHUTZWART . LEGEN SIE
SICH AUF DEN RÜCKEN UND
FOLGEN SIE SEINEN ANWEISUNGEN .
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZUM GEBURTSTAG, 1951
S ommer ist eine schöne Zeit für einen Geburtstag«, sagte der alte Mann. »Was also spricht, da du
sowieso die Wahl hast, gegen einen Sommertag?« Er befeuchtete seinen Daumen mit der Zunge und blätterte das Bündel Dokumente durch, welches auszufüllen ihm die Soldaten
befohlen hatten. Kein Dokument konnte ohne Geburtsdatum vollständig sein, also mußte man dem Jungen ein Geburtsdatum aussuchen.
»Heute kann dein Geburtstag sein, wenn du möchtest«, sagte der alte Mann.
»Heute morgen hat es geregnet«, sagte der Junge.
»Na gut, dann eben morgen. Die Wolken wehen nach Süden. Da müßte morgen den ganzen Tag die Sonne scheinen.«
Am Morgen hatten sich die Soldaten wegen des Regens untergestellt und das Versteck gefunden, in dem, Wunder der Wunder, der alte Mann und der Junge seit sieben Jahren ohne Dokumente gelebt
hatten, also praktisch ohne offizielle Lebenserlaubnis. Die Soldaten sagten, niemand könne ohne Dokumente Nahrung oder Unterkunft oder Kleidung bekommen. Aber der alte Mann und der Junge
hatten alles drei durch einfaches Buddeln in den Kellerkatakomben unter der zertrümmerten Stadt gefunden, und nachts durch Klauen.
»Warum zitterst du?« sagte der Junge.
»Weil ich alt bin. Weil Soldaten alten Männern angst machen.«
»Mir machen sie keine Angst«, sagte der Junge. Das plötzliche Eindringen in ihre Untergrundwelt hatte ihn aufgeregt. Er hielt etwas Glänzendes, Goldenes in den schmalen
Lichtstrahl aus dem Kellerfenster. »Siehst du? Einer hat mir einen Messingknopf gegeben.«
An den Soldaten war nichts Beängstigendes gewesen. Der Mann war so alt, und das Kind war so jung, und deshalb nahm das Militär dies seltsame Paar eher belustigt zur Kenntnis. Die zwei
hatten sich als einzige Menschen in der Stadt seit Kriegsende nirgends vermerken lassen, waren gegen nichts geimpft worden, hatten niemandem Gefolgschaft geschworen oder aufgekündigt, sich
für nichts entschuldigt, nichts gewählt und waren für nichts marschiert.
»Ich habe es nicht böse gemeint«, hatte der alte Mann den Soldaten gesagt und dabei ein bißchen Senilität vorgeschützt. »Ich habe es nicht
gewußt.« Er erzählte ihnen, wie ihm eine Flüchtlingsfrau am Tag des Kriegsendes einen Säugling in die Arme gedrückt hatte und nie zurückgekehrt war. So hatte er
den Jungen bekommen. Staatsangehörigkeit des Kindes? Name? Geburtsdatum? Er wußte es nicht.
Der alte Mann rollte mit einem Stock Kartoffeln vom Feuer des Holzofens und klopfte die Glut von der geschwärzten Pelle. »Ich war kein sehr guter Vater. Habe dich so lange ohne
Geburtstage auskommen lassen«, sagte er. »Du hast nämlich Anspruch auf einen Geburtstag pro Jahr, und ich habe sechs Jahre ohne Geburtstag verstreichen lassen. Und ohne Geschenke.
Man muß nämlich Geschenke kriegen.« Vorsichtig hob er eine Kartoffel auf und warf sie dem Jungen zu, der sie auffing und lachte. »Du hast also beschlossen, daß er
morgen stattfinden soll?«
»Ja, ich glaube schon.«
»In Ordnung. Da habe ich zwar nicht viel Zeit, dir ein Geschenk zu besorgen, aber es wird etwas da sein.«
»Was denn?«
»Geburtstagsgeschenke sind besser, wenn sie eine Überraschung sind.« Er dachte an die Räder, die er auf einem Haufen Schutt ein paar Ruinen weiter gesehen hatte. Wenn der
Junge einschlief, konnte er ihm irgendeine Art Wagen basteln.
»Hör mal!« sagte der Junge.
Wie immer bei Sonnenuntergang drang das Geräusch von Marschtritten aus einer entfernten Straße durch die Trümmer herüber.
»Hör nicht hin«, sagte der alte Mann. Er hob den Zeigefinger und bat um Aufmerksamkeit. »Und weißt du, was wir an deinem Geburtstag machen werden?«
»In der
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