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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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Bäckerei Kuchen klauen?«
    »Vielleicht, aber ich habe an etwas anderes gedacht. Weißt du, was ich morgen gern machen würde? Ich würde dich gern wohin mitnehmen, wo du in deinem ganzen Leben noch nie
gewesen bist – und wo ich seit Jahren nicht mehr war.« Der Gedanke regte den alten Mann auf und machte ihn froh. Dies würde das Geschenk
werden. Der Wagen wäre nichts dagegen. »Morgen gehe ich mit dir weg vom Krieg.«
    Er sah nicht, daß der Junge verwirrt aussah, und ein bißchen enttäuscht.
    Es war der Geburtstag, den der Junge sich ausgesucht hatte, und der Himmel, wie der alte Mann versprochen hatte, war klar. Im Zwielicht ihres Kellers frühstückten
sie. Der Wagen, den der alte Mann spätnachts gebaut hatte, stand auf dem Tisch. Der Junge aß mit einer Hand, die andere Hand lag auf dem Wagen. Gelegentlich hörte er auf zu essen,
um den Wagen auf und ab zu schieben und das Geräusch eines Motors zu imitieren.
    »Das ist ein schöner Lastwagen, den Sie da haben, mein Herr«, sagte der alte Mann. »Sie bringen wohl Tiere auf den Markt?«
    »Brummmm, brummmm. Platz da! Brummmm. Platz da, hier kommt mein Panzer.«
    »Tut mir leid«, seufzte der alte Mann, »dachte, Sie wären ein Lastwagen. Immerhin gefällt er dir, und das ist die Hauptsache.« Er ließ seinen Blechteller
in den Eimer Wasser fallen, der auf dem Ofen köchelte. »Und dies ist erst der Anfang, erst der Anfang«, sagte er mitteilsam. »Das Beste kommt erst noch.«
    »Noch ein Geschenk?«
    »Könnte man sagen. Weißt du noch, was ich dir versprochen habe? Heute gehen wir vom Krieg weg. Wir gehen in die Wälder.«
    »Brummmm, brummmm. Kann ich meinen Panzer mitnehmen?«
    »Wenn er ein Lastwagen sein darf. Nur heute mal.«
    Der Junge zuckte die Achseln. »Ich lasse ihn hier und spiele mit ihm, wenn ich zurückkomme.«
    Im hellen Morgen blinzelnd, gingen die beiden ihre verlassene, leere Straße entlang und bogen auf einen belebten Boulevard ein, der mit tapferen neuen Fassaden
gesäumt war. Es war, als wäre die Welt plötzlich frisch und sauber und heil geworden. Die Menschen schienen nicht zu wissen, daß die Verwüstung links und rechts von dem
schicken Boulevard begann und sich meilenweit erstreckte. Die beiden, mit Mittagessen unter dem Arm, gingen in Richtung der kiefernbestandenen Hügel nach Süden, wohin der Boulevard sanft
anstieg.
    Vier junge Soldaten kamen Seite an Seite auf dem Bürgersteig heran. Der alte Mann trat auf die Fahrbahn, um ihnen Platz zu machen. Der Junge salutierte und blieb, wo er war. Die Soldaten
lächelten, erwiderten seine militärische Ehrenbezeigung und machten ihm Platz, um ihn durchzulassen.
    »Panzergrenadiere«, sagte der Junge zum alten Mann.
    »Hmmmm?« sagte der alte Mann abwesend, den Blick auf die grünen Hügel gerichtet. »Wirklich? Woran hast du das gemerkt?«
    »Hast du die grüne Tresse nicht gesehen?«
    »Doch, aber solche Dinge ändern sich. Ich weiß noch, wie Panzergrenadiere schwarzrot waren, und grün war ...« Er brach den Satz ab. »Alles Quatsch«,
sagte er fast scharf. »Alles ohne Bedeutung, und heute werden wir überhaupt nicht dran denken. Ausgerechnet an deinem Geburtstag solltest du nicht an so was ...«
    »Schwarzrot sind die Pioniere«, unterbrach ihn der Junge ernsthaft. »Nur schwarz ist Militärpolizei, und rot ist die Artillerie, und blaurot sind die Sanitäter, und
schwarzorange ist ...«
    Der Kiefernwald war sehr still. Der jahrhundertealte Teppich aus Nadeln und das grüne Dach dämpften die Geräusche, die von der Stadt herauftrieben. Unendliche
Kolonnaden dicker brauner Stämme umringten den alten Mann und den Jungen. Die Sonne, direkt über ihnen, zeigte sich nur als Bündel heller Punkte durch die dicke, dichte Decke aus
Nadeln und Ästen.
    »Hier?« sagte der Junge.
    Der alte Mann sah sich um. »Nein –, noch ein bißchen weiter.« Er zeigte. »Da –, siehst du da hinten durch? Von hier aus können wir die Kirche
sehen.« Das schwarze Skelett eines verbrannten Kirchturms war zwischen zwei Baumstämmen am Rande des Waldes vor das blaue Quadrat des Himmels gerahmt. »Aber hör zu ...
Hörst du das? Wasser. Da oben ist ein Bach, und wir können hinunter in das kleine Bachtal und nichts als Baumwipfel und Himmel sehen.«
    »Na gut«, sagte der Junge. »Ja ..., ganz schön hier, aber ... Na gut.« Er sah den Kirchturm an, dann den alten Mann und zog fragend die Augenbrauen
hoch.
    »Du wirst sehen ... Du wirst sehen, wieviel schöner es da ist«,

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