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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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Major ein bißchen streitlustig war.
    Der Hauptmann fuhr mit dem Finger am Rand einer Seite entlang und schüttelte entmutigt den Kopf. »›Maschinenpistole, Mörser, Motorrad ... Panzerjäger,
Panzerkanone, Panzerkette.‹ Nichts über Aktenschränke, Schreibtische oder Stühle.«
    »Was zum Teufel erwarten Sie denn?« sagte der Major. »Das ist ein Buch für Soldaten, nicht für Schreibstubenschwuchteln.« Er bleckte die Broschüre an,
sagte etwas komplett Unverständliches und sah erwartungsvoll zu mir auf. »Das ist ja wirklich mal ein Klasse-Buch«, sagte er. »Hier steht, so bittet man um einen Dolmetscher,
und der alte Mann tut, als wäre es Lyrik vom Ubangi.«
    »Meine Herren, ich spreche Englisch«, sagte ich, »und meine Tochter Marta ebenfalls.«
    »Gottchen, tatsächlich«, sagte der Major. »Wie schön für Sie, Opa.« Ich kam mir vor wie ein kleiner Hund, der ihm klug – besonders für so
einen kleinen Hund – sein Gummibällchen zurückgebracht hatte.
    Ich hielt dem Major meine Hand hin und sagte ihm, wie ich hieß. Er sah hochmütig auf meine Hand herab und ließ seine Hände in den Hosentaschen. Ich merkte, wie ich rot
wurde.
    »Ich heiße Captain Paul Donnini«, sagte der andere Mann schnell, »und dies ist Major Lawson Evans.« Er drückte mir die Hand. »Sir«, sagte er zu
mir, und seine Stimme war väterlich und tief, »die Russen ...«
    Der Major gebrauchte ein Epitheton. Mir blieb die Spucke weg, und Marta, die mit Landsknechtsjargon praktisch aufgewachsen ist, war erstaunt.
    Hauptmann Donnini war peinlich berührt. »Sie haben uns kein einziges unbeschädigtes Möbelstück hinterlassen«, fuhr er fort, »und ich wüßte gern,
ob Sie uns irgendein Stück aus Ihrer Werkstatt überlassen könnten.«
    »Das wollte ich Ihnen ohnehin anbieten«, sagte ich. »Es ist eine Tragödie, daß sie alles zerschmettert haben. Sie haben die schönsten Möbel von Beda
beschlagnahmt.« Ich lächelte und schüttelte den Kopf. »Aaaaah, diese Feinde des Kapitalismus –, sie hatten ihre Unterkunft möbliert wie ein kleines
Versailles.«
    »Wir haben die Trümmer gesehen«, sagte der Hauptmann.
    »Und dann, als sie die Schätze nicht mehr haben konnten, sollte niemand sie kriegen.« Ich machte eine Bewegung wie ein Mann, der eine Axt schwingt. »Und schon wird die
Welt ein wenig langweiliger für uns alle, weil sie weniger Schätze birgt. Bourgeoise Schätze, vielleicht, aber wer sich keine schönen Dinge leisten kann, der liebt doch die
Gewißheit, daß es irgendwo solch schöne Dinge gibt.«
    Der Hauptmann nickte freundlich, aber zu meiner Überraschung sah ich, daß meine Worte Major Evans irgendwie irritiert hatten.
    »Nun, wie dem auch sei«, sagte ich, »ich möchte, daß Sie alles nehmen, was Sie brauchen. Es wird mir eine Ehre sein, Ihnen helfen zu können.« Ich fragte
mich, ob jetzt der gegebene Zeitpunkt war, den Scotch anzubieten. Es lief nicht genauso, wie ich es erwartet hatte.
    »Opa ist ja ein ganz Schlauer«, sagte der Major ätzend.
    Plötzlich wurde mir klar, was der Major angedeutet hatte. Es war ein Schock. Er sagte mir, daß ich zum Feind gehörte. Er fand, daß ich kooperieren sollte, weil ich Angst
hatte; er wollte, daß ich Angst hatte.
    Einen Augenblick lang war mir körperlich schlecht. Einst, als viel jüngerer und christlicherer Mann, sagte ich gern, daß Männer, die sich auf Angst verließen, um sich
durchzusetzen, krank und mitleiderregend und bedauernswert einsam waren. Später, nachdem ich ganze Armeen solcher Männer in Aktion gesehen hatte, sah ich, daß eher ich die Sorte
war, die einsam war – und vielleicht auch krank und bemitleidenswert, aber ich hätte mich eher umgebracht als das zugegeben.
    Ich mußte bei dem neuen Kommandanten unrecht haben. Ich sagte mir, daß ich zu lange argwöhnisch und – jetzt, da ich alt bin, kann ich es zugeben –
verängstigt gewesen bin. Aber auch Marta spürte die Bedrohung, die Angst in der Luft, das merkte ich. Sie verbarg ihre Wärme, wie sie sie jahrelang versteckt hatte, hinter einer
langweiligen, sittsamen Maske.
    »Ja«, sagte ich, »nehmen Sie gern alles, was Sie gebrauchen können.«
    Der Major stieß die Tür zum Hinterzimmer auf, in dem ich schlafe und arbeite. Als Gastgeber wurde ich nicht mehr gebraucht. Ich sank auf meinen Stuhl beim Fenster zurück.
Hauptmann Donnini fühlte sich unbehaglich und blieb bei Marta und mir.
    »Es ist sehr schön hier in den Bergen«, sagte er lahm.
    Wir versanken in

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