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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Namen?«, fragte er zögernd. »Da bin ich mir nicht sicher.«
    Woher war diese verräterische Freude gekommen? Du wirst es ihr zeigen! Wirst sie zurückgewinnen!
    »Nein«, sagte Kellhus gelassen. »Vor dir.«
    Achamian hörte Nautzera unter Mekeritrigs glühender Berührung aufschreien. »Wenn ich es nicht kann«, sagte er atemlos, »dann kann es Seswatha.«
    Kellhus nickte. Er bedeutete Achamian, ihm zu folgen, drehte sich dann unvermittelt um und schob sich zwischen Ästen und Zweigen hindurch, um die Baumreihen zu queren. Achamian hetzte ihm hinterher und wedelte Bienen und regnende Blütenblätter fort. Drei Reihen weiter blieb Kellhus vor einer lichten Baumkrone stehen.
    Achamian sperrte vor Entsetzen den Mund auf.
    Der Apfelbaum, vor dem Kellhus stand, war seines Blütenkleids beraubt. Nur ein schwarzer, knotiger Stamm war übriggeblieben, dessen drei Äste sich wie die wehenden Arme eines Tänzers bogen. Ein Hautkundschafter war nackt über die Äste gezogen und mit rostbraunen Ketten an ihnen festgebunden worden. Seine Stellung – ein Arm war nach hinten gefesselt, der andere nach vorn – erinnerte Achamian an einen Speerwerfer. Sein Kopf hing kraftlos herab, und die langen, feminin wirkenden Finger seines Gesichts lagen schlaff an seiner Brust. Die Sonne schien grell auf ihn herab und warf rätselhafte Schattenbilder.
    »Der Baum war schon abgestorben«, sagte Kellhus wie zur Erklärung.
    »Was…«, setzte Achamian mit schwacher Stimme an, verstummte aber, als die Kreatur sich rührte und das Trümmerfeld ihres Gesichts hob. Die Finger machten langsame Greifbewegungen im Leeren, die an eine erstickende Krabbe denken ließen. Lidlose Augen funkelten in erstarrtem Schrecken.
    »Was hast du erfahren?«, brachte Achamian schließlich hervor.
    Das lippenlose Scheusal kaute und öffnete seine Zahnreihen dazu kaum. »Ahh«, keuchte es lang gezogen. »Chigraaaa…«
    »Dassxsie gesteuert werden«, sagte Kellhus leise.
    »Große Not wird euch befallen, Chigraaa. Du hast uns zu spät entdeckt.«
    »Gesteuert? Von wem?«, rief Achamian, sah Kellhus durchdringend an und ballte die Fäuste. »Weißt du, von wem?«
    Der Kriegerprophet schüttelte den Kopf. »Sie sind abgerichtet, und zwar sehr gründlich. Man müsste sie monatelang befragen, vielleicht noch länger.«
    Achamian nickte. Stünde ihm ausreichend Zeit zur Verfügung, könnte Kellhus sich dieser Kreatur ebenso bemächtigen, wie er sich aller anderen bemächtigt zu haben schien. Er war mehr als genau, mehr als gründlich. Selbst die Geschwindigkeit, mit der er diese Information einem Wesen abgerungen hatte, das immerhin auf Täuschung gedrillt war, bewies seine… Unvermeidbarkeit.
    Er macht keine Fehler.
    Einen unbesonnenen Moment lang wurde Achamian von hämischer Wut gepackt. All die Jahre – jahrhundertelang! – hatten die Rathgeber sie zum Narren gehalten. Jetzt aber, jetzt! Ob sie es wussten? Ob sie die Gefahr spürten, die dieser Mann bedeutete? Oder würden sie ihn ebenso unterschätzen, wie alle anderen es getan hatten?
    Wie Esmenet.
    Achamian schluckte. »Du musst dich mit Chorae-Bogenschützen umgeben, Kellhus. Und du musst große Bauten meiden, jeden Ort, der – «
    »Der Anblick dieser Kreatur belastet dich«, unterbrach ihn der Kriegerprophet.
    Ein sanfter Wind war aufgekommen, und zahllose Blütenblätter wirbelten durch die Luft, wie von unsichtbaren Schnüren gezogen.
    Warum war das Scheusal hier angebunden worden, inmitten dieser Schönheit und Ruhe, als habe man einem jungen Mädchen einen Krebs auf die Haut gesetzt? So etwas konnte doch nur jemand tun, der von Schönheit nichts, überhaupt nichts verstand.
    Er erwiderte den Blick des Dunyain. »Stimmt, er belastet mich.«
    »Und dein Hass?«
    Für einen Moment hatte es danach ausgesehen, als wollte er diesen göttlichen Mann mit allen Fasern seiner Gegenwart und seiner Zukunft lieben. Und wie hätte es anders sein sollen, da seine bloße Anwesenheit Achamian das Gefühl gab, eine Zuflucht gefunden zu haben? Dann aber wurde dem Hexenmeister klar, wie sehr Kellhus’ Vertrautheit mit Esmenet seine Hingabebereitschaft dämpfte.
    »Mein Hass bleibt«, sagte er.
    Wie von dieser Antwort angestachelt, begann der Hautkundschafter, ruckartig an seinen Fesseln zu zerren. Geschmeidige Muskeln spannten sich unter seiner sonnenverbrannten Haut. Ketten rasselten, und schwarze Äste knarrten. Achamian trat einen Schritt zurück und dachte an die furchtbare Szene mit Skeaös unter den

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