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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Achamian.«
    Aufgeschreckt drehte der Hexenmeister sich um und sah einen mit grünen und goldenen Insignien geschmückten Offizier ins Sonnenlicht treten. Wie alle Männer des Stoßzahns war er hager, aber nicht annähernd so ausgemergelt wie viele außerhalb des Fama-Palasts. Er fiel vor Achamian auf die Knie und sprach gesenkten Hauptes im breiten Akzent der Galeoth. »Ich bin Dun Heörsa, Schildhauptmann der Hundert Säulen.« Als er aufsah, stand wenig Freundlichkeit in seinen blauen Augen, dafür aber ein Übermaß an Entschlossenheit. »Er hat mich angewiesen, Euch zu ihm zu bringen.«
    Achamian schluckte und nickte dann.
    Er…
    Der Hexenmeister folgte dem Offizier ins Dunkel parfümierter Flure.
    Er. Der Kriegerprophet.
    Seine Haut prickelte. Als Einziger auf der Welt stand Anasûrimbor Kellhus mit Gott auf vertrautem Fuß. Mit Gott! Wie sollte es auch anders sein, wenn er wusste, was kein anderer wissen konnte, und aussprach, was kein anderer auszusprechen vermochte?
    Wer konnte Achamian für seine Ungläubigkeit tadeln? Es war, als hielte man eine Flöte in den Wind und hörte ein Lied. Es schien ungeheuer zu sein… Es war ein Wunder. Ein Prophet lebte in ihrer Mitte.
    Atme, wenn du mit ihm sprichst. Vergiss nicht zu atmen.
    Der Schildhauptmann sagte kein Wort. Er blickte beim Gehen stur geradeaus und war von der gleichen gespenstischen Disziplin besessen wie anscheinend jeder im Palast. Aufwändig verzierte Teppiche lagen da und dort auf dem Boden; jedes Mal, wenn sie einen überquerten, verstummte der Stiefeltritt des Soldaten.
    Trotz seiner Aufregung wusste Achamian das Schweigen zu schätzen. Er glaubte, nie zuvor an so vielen widerstreitenden Leidenschaften gelitten zu haben. Er verspürte Hass auf einen unerreichbaren Rivalen, auf einen Schwindler, der ihm seine Männlichkeit, seine Frau, geraubt hatte. Aber er empfand auch Zuneigung zu einem alten Freund, zu einem Schüler, der zugleich sein Lehrer war, zu einer Stimme, die seine Seele mit zahllosen Einsichten beflügelt hatte. Nicht zuletzt hatte er Angst vor der Zukunft, vor dem habgierigen Irrsinn, der sich ihrer allzu bald bemächtigen würde. Und er empfand Freude darüber, einen Feind vorübergehend ausgeschaltet zu haben.
    Auch Bitterkeit und Hoffnung verspürte er.
    Und Ehrfurcht… Vor allem Ehrfurcht.
    Die Augen des Menschen waren nur winzige Löcher – niemand wusste das besser als die Ordensleute der Mandati. All ihre Bücher, sogar ihre heiligen Schriften waren nichts als winzige Löcher. Doch weil sie das Unsichtbare nicht sehen konnten, glaubten sie, alles zu sehen, und verwechselten dabei Löcher von der Größe eines Nadelstichs mit dem Himmel.
    Aber Kellhus war etwas anderes. Eine Tür. Ein mächtiges Tor.
    Er ist gekommen, uns zu retten. Das darf ich nicht vergessen! Daran muss ich mich klammern!
    Der Schildhauptmann führte ihn an reglos blickenden Wächtern vorbei, deren grüne Übermäntel ebenfalls mit dem goldenen Zeichen der Hundert Säulen bestickt waren: einer Reihe senkrechter Streifen über dem langen, waagerechten Stoßzahn. Nachdem sie einige mit Gitterwerk verzierte Mahagonitüren passiert hatten, gelangte Achamian in die Säulenhalle eines viel größeren Hofs. Die Luft war voller Blütenduft.
    Jenseits der Halle lag ein Obstgarten in gleißendem Sonnenlicht. Die schwarzen Äste der Bäume – wohl eine fremdländische Apfelart – verzweigten sich unter herrlicher Blütenpracht, und jedes Blütenblatt schien ein weißes, in Blut getauchtes Stück Stoff zu sein. Da und dort erhoben sich Dolmen wie große steinerne Wächter über den Baumreihen. Sie wirkten düster und grobschlächtig, waren vermutlich älter als Kyraneas, wenn nicht gar Shigek, und mussten Überbleibsel einer vor langer Zeit untergegangenen Gesellschaft sein.
    Kaum wandte Achamian sich mit fragendem Blick an Hauptmann Heörsa, nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung im Miteinander von Laub und Blüten wahr. Er drehte sich um – und sah, wie sie mit Kellhus unter den Zweigen schlenderte.
    Esmenet.
    Er sah sie sprechen, doch Achamian vernahm nur die Erinnerung an ihre Stimme. Nachdenklich betrachtete sie den mit Blütenblättern übersäten Boden vor ihren kleinen Füßen und lächelte wehmütig und herzzerreißend, als würde sie Neckereien mit liebevollen Einlassungen beantworten.
    Achamian begriff, dass er die beiden zum ersten Mal zusammen sah. Esmenet wirkte jenseitig, dabei selbstsicher und sehr schlank in ihrem dünnen, türkisfarbenen

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