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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Achamian, wie du immer im Dunkeln gewartet hast, während ich mich mit den Hohen Herren beriet?«
    »Ja… daran erinnere ich mich.«
    »Nun bin ich es, der wartet.«
    Wieder wusste Achamian nicht, was er sagen sollte. Es schien, als seien die Worte an ihre Grenzen gestoßen und könnten nur noch von Ohnmacht oder Lächerlichkeit zeugen. Selbst seine Gedanken waren in Aufruhr.
    »Hast du je gewonnen?«, fragte der Marschall unvermittelt.
    »Im Benjuka?« Achamian blinzelte, und sein Gesicht verzog sich zu einem schmerzlichen Lächeln. »Nicht gegen dich, Xin… Aber eines Tages wird es mir gelingen…«
    »Das glaub ich nicht.«
    »Und warum nicht?« Er hatte Angst vor der Antwort, die auf diese Frage folgen mochte.
    »Weil du es zu angestrengt versuchst«, sagte Xinemus. »Und wenn die Stellung es nicht hergibt…« Er hustete und schien sich um die von Pusteln befallene Lunge zusammenzuziehen.
    »Wenn die Stellung es nicht hergibt…«, wiederholte Achamian. Er ließ ihm nicht länger seinen Willen. Selbstsüchtiger Narr!
    »Ich sehe nichts«, keuchte der Marschall. »Gütiger Sejenus! Ich sehe nichts!« Er röchelte, als würde er in geronnenem Blut ertrinken, würgte und schlug um sich.
    Dann erschlaffte er. Ein paar Herzschläge lang konnte Achamian ihn nur anstarren. Ohne Augen wirkte er so… eingeschlossen.
    »Xin!«
    Der Mund seines Freundes bewegte sich tonlos. Achamian musste an die Fischköpfe denken, die haufenweise neben dem Tisch gelegen hatten, an dem sein Vater die Tiere ausnahm: Münder, deren langsames Öffnen und Schließen an Schwalbenwurz im Wind erinnerte.
    »Geh…«, keuchte sein Freund. »Lass mich in Ruhe…«
    »Das ist der falsche Augenblick für Stolz, du Narr!«
    »Nein«, flüsterte der Marschall von Attrempus. »Das ist… der einzige…«
    Dann geschah es. Eben noch hatten ihm die Anstrengungen des Sterbens in bleichen Flecken im Gesicht gestanden, nun wurde sein Antlitz violettgrau, und zwar so schnell, wie ein Tuch sich mit Wasser vollsaugte. Die Ruhe vollkommener Reglosigkeit ließ das Leinwandgemach kühler wirken als zuvor. Läuse kamen aus Xinemus’ Haaren und liefen ihm über die Stirn und das wächserne Gesicht. Mit der betäubten Sorgfalt derer, die den Tod verleugnen, indem sie sich verhalten, als sei er nicht eingetreten, wischte Achamian das Ungeziefer weg und zupfte es ab.
    Er umklammerte die Hand seines Freundes und küsste ihm die Finger. »Morgen früh bringen Proyas und ich dich zum Fluss«, sagte er atemlos. »Wir baden dich, wir…«
    Wimmernde Stille.
    Sein Herzschlag verlangsamte sich und schien zu zögern wie ein Junge, der sich nicht sicher ist, ob die Erlaubnis seines Vaters ernst gemeint war. Seine Lippen wurden schmal, und langsam öffnete sich eine Leere in ihm, die erst nur zerrte, dann aber mit Macht forderte, dass er atmete.
    Mit schimpflichem Widerwillen betrachtete er Krijates Xinemus – den Mann, der sein älterer Bruder hätte sein können und sein einziger Freund gewesen war. Achamian spürte, dass die ersten Läuse ihn erreichten. Es fühlte sich an wie das Kribbeln der Einsicht.
    Er atmete die schlechte Luft tief ein, und obwohl sein Schrei weit über die Ebene hallte, drang er doch längst nicht bis Shimeh.
     
    Er dachte über die Stellung nach und rieb sich dabei die Hände warm.
    Xinemus machte sich mit einem gemeinen Lachen über ihn lustig. »Du wirkst beim Benjuka immer furchtbar verdrossen.«
    »Es ist ja auch ein elendes Spiel.«
    »Das sagst du nur, weil du es zu ernst nimmst.«
    »Nein. Das sage ich, weil ich verliere.«
    Mit einer gewissen Verärgerung zog Achamian die einzige steinerne unter all seinen Silberfiguren – den Ersatz für einen Spielstein, den (so behauptete Xinemus jedenfalls) einer seiner Sklaven gestohlen hatte. Ein weiteres Ärgernis. Obwohl die Figuren nur waren, wozu man sie benutzte, schien es Achamian, als ließe dieser einfache Stein sein allenfalls mittelprächtiges Spiel noch dürftiger werden und würde den ohnehin bescheidenen Zauber einer vollständigen Folge von Zügen zerstören.
     
    Warum habe eigentlich ich diesen Stein bekommen?
     
     
    In dieser Nacht schlief Achamian nicht.
    Ein Mitglied der Hundert Säulen war erschienen, um ihn und Proyas zur Villa im Herzen des Lagers zu rufen. Offenbar hatte es einen Anschlag auf Kellhus gegeben. Achamian weigerte sich rundweg, mitzukommen. Als Proyas losgehen wollte, machte der Hexenmeister ihm so heftige und lästerliche Vorwürfe, dass der wartende

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