Der tausendfältige Gedanke
seiner Proteste wurde Simas überstimmt. Das Quorum kam überein, mit den Fremden zumindest zu verhandeln. Sklaven machten eilig die Sänften bereit, und bald blickte Nautzera durch die Schleier seines Tragsessels auf die rätselhaften Schiffe. Die Sklaven hetzten die Serpentinen von Atyersus’ Haupttor zum Hafen hinunter und gelangten bald zu den steinernen Kais, die in den kleinen Naturhafen der Festung ragten.
Inmitten aufgebrachter Grüppchen von Wächtern und Schülern versammelte sich das Quorum auf dem einzigen Kai, an dem keine Schiffe festgemacht hatten. Das Boot hatte sich so weit genähert, dass sie erstaunt zu schnattern begannen und Mutmaßungen austauschten.
Offensichtlich wusste aber niemand, was wirklich vorging. Das Gerede verstummte, als die Hafenarbeiter die Taue des anlandenden Bootes auffingen. Die Ruderer richteten die Ruderblätter zum Himmel, und das Boot wurde festgemacht. Nautzera und die anderen standen starr vor Schreck da. Stille legte sich über den kleinen Wald aus Masten und Takelagen ringsum. Die Seeleute der Insel, die an den Geländern der benachbarten Schiffe standen, sahen verwundert auf ihre Meister vom Orden der Mandati, aber auch auf das Gefolge hinunter, das dem Boot entstieg.
Die sieben alten Männer des Quorums sahen mit finsterem Blick zu, wie ihre Besucher sich an der Spitze des Kais sammelten. Mit in der Sonne strahlenden Helmen und Kettenhemden bildeten fünf Tempelritter mit unbewegter Miene eine stumme Phalanx und schirmten die Gestalten dahinter ab. Ihre Chorae waren unter den weißen Seidenübermänteln deutlich zu spüren. Von den Männern hinter ihnen konnte Nautzera nur die – überwiegend rasierten – Gesichter erkennen. Dann drängte sich ein imposanter Mann mit schwarzem Bart zwischen den Rittern durch und zeigte sich dem erstaunten Quorum. Bis auf Nautzera überragte er alle. Er trug eine majestätische weiße Robe, die am Kragen und am Saum der Ärmel mit fingerknöchelgroßen goldenen Stoßzähnen bestickt war. Obwohl sein Gesicht darauf hindeutete, dass er mittleren Alters war, wirkten seine blauen Augen erstaunlich jung. Auch er trug ein Chorum vor der Brust.
»Heiliger Tempelvorsteher«, sagte Nautzera gemessen.
Maithanet war hier?
Mit warmherzigem Lächeln musterte der Tempelvorsteher ihre Gesichter, sah zu den dunklen Bollwerken von Atyersus auf… und machte einen Ausfallschritt nach vorn. Seine Bewegung war so rasch gewesen, dass die erstaunten Mandati sie kaum mitbekommen hatten, doch jetzt hielt er Simas am Schädel gepackt.
Hexenmeisterliches Gemurmel drang durch die Luft. Gnostisches Licht blitzte in den Augen der Mandati. Abwehrformeln ließen schimmernde Schutzwände entstehen. Beinahe synchron gingen die Mitglieder des Quorums in Verteidigungsstellung. Staub und Schotter fegten über die Kanten des Kais.
Simas war erschlafft. Sein schlohweißes Haupt lag auf der Faust in seinem Nacken. Der Tempelvorsteher schien ihn mit unglaublicher Kraft festzuhalten.
»Lasst ihn los!«, rief Yatiskeres, während er mit den anderen zurückwich.
Maithanet redete, als demonstrierte er ihnen, wie man Kaninchen schlachtet. »Wenn man sie hier zu packen bekommt«, sagte er und zerrte an dem Alten, als wollte er seinen Worten Nachdruck verleihen, »sind sie vollkommen hilflos.«
»Lass – «
»Lasst ihn los!«
»Was soll der Irrsinn?«, rief Nautzera, der sich als Einziger keines Abwehrzaubers bedient hatte und auch nicht mit den anderen zurückgewichen war, sondern nun sogar schützend zwischen den Tempelvorsteher und seinen Ordensbruder trat.
»Und wenn man wartet«, fuhr Maithanet fort und blickte Nautzera in die Augen, »offenbart sich ihr wahres Gesicht.«
Der alte Hexenmeister rang nach Atem. Simas zitterte so seltsam… nicht wie ein Greis… so…
»Er bringt ihn – «
»Ruhe!«, rief Nautzera.
»Wir haben beim Verhören der anderen von dem hier erfahren«, sagte Maithanet, und seine volltönende Stimme ließ das besorgte Gerede verstummen. »Es handelt sich bei diesem Wesen um ein Missgeschick, um eine Anomalie, die seine Schöpfer zum Glück kein zweites Mal erschaffen konnten.«
Bei diesem Wesen?
»Was soll das heißen?«, fragte Nautzera.
Das Wesen namens Simas schlug mit schlaffen Gliedern um sich und schrie mit hundert wahnsinnigen Stimmen los. Maithanet stand breitbeinig und schwankte wie ein Fischer, der einen zappelnden Hai am Haken hat. Nun stolperte Nautzera zurück und hob abwehrend die Hände. Abgrundtief entsetzt sah
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