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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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vorzuenthalten.
    Ihre Augen blitzten weiß, und für einen Moment glich sie einem lüsternen Dämon der Nilnameshi. Ein seltsames, übernatürliches Gelächter drang durch den überwucherten Garten und wand sich schlangenhaft ins Weite.
    »Achamian…«, flüsterte Kellhus.
    »… ist bereits tot«, höhnte das Wesen, rollte den Kopf wie eine Puppe und sank auf den kalten Boden.
     
     
    Der dumpfe Klang, mit dem Stein an Stein schlug, war bei dem Stimmengewirr im Garten, der hinter den vergitterten Fenstern lag, kaum hörbar.
    Eine Marmorplatte markierte die Schwelle dessen, was einst, als die Nansur Amoteu beherrscht hatten, ein Ahnenschrein gewesen war. Wie von selbst klappte sie auf und rutschte zur Seite, sodass ein schwarzer Schlitz zum Vorschein kam, durch den kaum ein Schild der Männer aus Ce Tydonn gepasst hätte. Ein Fuß glitt heraus, und Zehen streckten sich. Knie und Schenkel folgten. Ein zweiter Fuß tauchte auf, dann eine Hand, bis alle drei Gliedmaßen sich wie eine verunstaltete Spinne über der Öffnung krümmten.
    Dann tauchte langsam und mit Bedacht die Gestalt einer Frau auf, die einem Buch entsprungen zu sein schien.
    Fanashila.
    Sie tanzte durch die hellen Flure, begegnete der verschlafenen Opsara, die von der Latrine zurück zum Kinderzimmer schlurfte, brach ihr das Genick, hielt dann inne und atmete tief durch. Irgendwo im Dunkeln verwandelte sie sich in Esmenet, legte die Wange ans bronzeverzierte Mahagoni seiner Schlafzimmertür und hörte nur das tiefe Atmen ihres Opfers. Aus der Küche roch es nach Knoblauch, von anderswo nach saurem Schweiß, Ruß, Myrrhe und Sandelholz.
    Sie zog das Chorum aus einer Tasche ihres Leinenhemds und band es sich mit einer Lederschnur um den Hals. Dann drückte sie die Tür auf und lehnte sich schwer auf die Klinke, damit die ungeölten Angeln nicht quietschten. Sie hatte gehofft, ihn schlafend anzutreffen, doch seine Abwehrformeln hatten ihn natürlich geweckt.
    Sie stand mit verweintem Gesicht im dunklen Eingang. Das Mondlicht warf ein Rechteck aus bleichen Quadraten auf den Boden zu ihren Füßen. Achamian saß erschrocken und aschfahl im Bett. Während er angestrengt blinzelte, um etwas zu erkennen, konnte sie ihn deutlich sehen: die erstaunten Augen, die nachdenkliche Stirn, die fünf weißen Strähnen im Bart.
    Er roch nach blanker Angst.
    »Esmi?«, flüsterte er. »Esmi? Bist du das?«
    Sie zog die Arme am Kragen aus dem Hemd, das daraufhin bis zum Gürtel herabfiel, und hörte, wie ihm beim Anblick ihrer Brüste der Atem stockte.
    »Esmi? Was tust du da?«
    »Ich brauche dich, Akka…«
    »Das Chorum um deinen Hals… Ich dachte, das wäre verboten.«
    »Kellhus bat mich, es zu tragen.«
    »Bitte… nimm es ab.«
    Sie führte die Hände zum Nacken, band das Chorum los, ließ es fallen und trat ins fahle Licht. Der rechtwinklige Schatten des Fenstergitters malte ein seltsames Muster auf die Konturen ihres gestohlenen Körpers. Sie wusste, dass sie schön war. »Akka«, flüsterte sie. »Schlaf mit mir, Akka…«
    »Nein… das ist nicht richtig! Er wird es merken, Esmi!«
    »Er weiß es schon«, sagte sie und schob sich aufs Fußende des Betts.
    Sie spürte sein Herz hämmern und staunte über seine gewaltige Angst.
    »Bitte«, sagte sie und strich mit den Brüsten über die Umrisse seiner Knie und Oberschenkel. Sein im Dunkeln liegendes Gesicht war ganz nah.
    Der Hieb drang ihr durch Brustbein, Herz und Rückgrat. Trotzdem gelang es ihr noch, sich nach vorn zu werfen und seine Luftröhre zu treffen. Ehe ihr schwarz vor Augen wurde, erkannte sie durch das nachlassende Blendwerk hindurch, wie Hauptmann Heörsa im Todeskampf um sich schlug.
    Der Dunyain hatte sie überlistet.
    Fallen inmitten von Fallen, dachte das Wesen namens Esmenet unbekümmert – wie schön.
     
     
    Achamian…
    Die Laterne entglitt ihm, rollte über den Boden und beleuchtete einige Knochenhaufen. Seswatha spürte, wie er hochgehoben und zurück in die Finsternis geworfen wurde. Sein Schädel krachte gegen etwas, und alles wurde dunkel, bis er nur noch das aufgebrachte Gesicht seines Schülers sah.
    »Wo ist sie?«, schrie Nau-Cayûti. »Wo?«
    Er aber konnte nur daran denken, dass die Stimme des Prinzen nun weithin durch die unmenschlichen Räume dröhnte und ihr Verhängnis besiegelte. Schließlich waren sie in den Gängen von Golgotterath unterwegs!
    Achamian! Es geht um Xin…
    »Du hast gelogen!«
    »Nein!«, rief Achamian und legte die Hand vor die Augen, um sich vor dem

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