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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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heller Kopf erwiesen und musste nicht so oft geschlagen werden wie die Übrigen. Und wichtiger noch: Achamian war sein Sohn, und kein anderer sollte ihn haben.
    Der Pederisk, ein gertenschlanker Mann mit dem harten und wettergegerbten Gesicht eines Seemanns, war weder überrascht noch beeindruckt von diesem betrunkenen Widerstand gewesen. Achamian würde nie vergessen, wie sein Geruch – Rosenwasser und Jasmin – die säuerlich riechende Kammer erfüllt hatte. Sein Vater war gewalttätig geworden, und die bewaffneten Begleiter des Ordensmanns hatten erschreckend beiläufig auf ihn eingeschlagen. Achamians Mutter hatte gekreischt, seine Brüder und Schwestern hatten geschrien, doch ihn selbst hatte eine seltsame Kälte erfasst, der gewaltige Egoismus nämlich, zu dem nur Kinder und Verrückte bisweilen fähig sind.
    Er hatte sich hämisch gefreut.
    Bis zu jenem Tag hatte Achamian nicht gedacht, dass sein Vater so leicht zu brechen wäre. Für Kinder haben hartherzige Väter etwas von einer Urgewalt an sich, die eher göttlicher als menschlicher Herkunft ist. Als Richter scheinen sie über jedes Urteil erhaben. Die Erniedrigung seines Vaters zu erleben, hatte ihm den ersten wirklich traurigen Tag seines Lebens beschert, aber auch einen Tag des Triumphs. Den großen Zerstörer am Boden zu sehen – wie hätte das die Proportionen der Welt eines kleinen Jungen nicht verändern sollen?
    »Du bist verdammt!«, hatte sein Vater gerufen. »Die Hölle kommt dich holen, Junge!«
    Erst als sie im Karren des Ordensmanns über die Küstenstraße rumpelten, hatten Verlustgefühle und überfälliges Bedauern ihn überwältigt, und er hatte geweint.
    Viel zu spät also.
    »Ich sehe es, Akka… «, sagte eine Stimme, die kaum mehr war als ein Krächzen – die Stimme von Xinemus. »Ich sehe jetzt, wohin ich gehe.«
    »Und was siehst du?«, fragte Achamian nachsichtig, denn Schwerkranken hatte man ihren Willen zu lassen.
    »Nichts.«
    »Sei still. Ich werde dir alles beschreiben: die Mauern mit den großen Augen, den Ersten Tempel, die Heiligen Höhen. Ich sehe für dich, Xin. Durch mich wirst du Shimeh erblicken.«
    Durch die Augen eines Hexenmeisters.
    Proyas’ Sklaven hatten mit Wandschirmen ein improvisiertes Krankenzimmer für den Marschall von Attrempus geschaffen. Auf diesen Raumteilern waren gestickte Fasane zu sehen, deren Schwanzfedern sich in den Bäumen verzweigten, auf denen sie saßen. Nur zwei Laternen gaben Licht, und beide waren – worauf die heilkundigen Priester bestanden hatten – mit blauem Stoff umhüllt. Anscheinend war Akkeägni bei der Wahl seiner Farben anspruchsvoller als bei der Wahl seiner Opfer… Das Ergebnis war seltsam, ja unheimlich, und changierte zwischen kaltem Feuerschein und Mondlicht. Von allem in dem bescheidenen Gemach – von den durchhängenden Zeltbahnen, den Binsenmatten auf dem Boden, den Decken, die vom Feldbett des Marschalls hingen – ging ein Übelkeit erregendes Odium von Krankheit aus.
    Achamian kniete neben dem Feldbett und wischte die Stirn seines Freundes vorsichtig mit einem nassen Tuch ab. Auch das Wasser, das ihm in den Höhlen stand, tupfte er weg, allerdings nicht um des Freundes willen, sondern weil es so entnervend – wie flüssige Augen nämlich – im Dunkeln funkelte.
    Erneut musste er den Drang niederkämpfen zu fliehen. Wenige unreine Geister waren so erschreckend und blutdurstig wie die im Gefolge des Seuchengottes. Nach Auskunft der heilkundigen Priester hatte Pulma – einer der schlimmsten von Akkeägnis unzähligen Dämonen – von ihm Besitz ergriffen.
    Die Lungenpest.
    Plötzlich zuckte der Marsch all unter Krämpfen. Er krümmte sich auf seinem Bett, als wäre er ein Bogen, den etwas Unsichtbares in die Hand genommen und gespannt hatte, und machte Geräusche, die man nur als… unmännlich beschreiben konnte. Achamian raufte sich den Bart und wisperte Worte, an die er sich später nicht erinnern konnte. Xinemus erschlaffte unvermittelt, und seine Glieder sanken wieder in die Laken.
    Achamian wischte ihm den Schweiß vom zitternden Antlitz. »Ruhig«, flüsterte er zwischen den röchelnden Atemzügen des Kranken. »Ruhig…«
    »Wie die Regeln sich doch verändert haben…«, hustete der Marschall.
    »Wie meinst du das?«
    »Das Spiel zwischen uns… das Benjuka.«
    Achamian wusste noch immer nicht, worauf er hinauswollte, und ihm fiel nichts zu sagen ein. Er empfand es als… Sünde, ihn erneut nach dem Sinn seiner Worte zu fragen.
    »Weißt du noch,

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