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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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hielt.
    »… ohne Götter nämlich.«
     
     
    Selbst aus dieser Entfernung sah Eleäzaras den schwachen Schein der Lichter des Ctesarat-Gotteshauses auf den Heiligen Höhen. Er saß mit Iyokus unter dem offenen Vordach auf der Südseite seines Pavillons. Blutkreise waren ins flachgedrückte Gras gemalt. Morgen würden sie ihren Todfeind endlich angreifen, und obwohl ihm der Sinn dieses Angriffs inzwischen abhanden gekommen war, würde er ihn zu Ende bringen.
    Also würde er auch jedes ihm zur Verfügung stehende Mittel anwenden – wie verrucht es auch sein mochte.
    »Die Cishaurim fliehen«, sagte Iyokus, während sein Mund in Daimotischer Zwiesprache leuchtete. »Wie vermutet, haben sie keine Chorae auf dem Juterum. Aber jetzt treffen sie eifrige Vorbereitungen.«
    Die Schlangenköpfe hatten keine Wahl. Sie würden ihre Chorae verteilen, um sich gegen weitere Überraschungsangriffe der Ciphrang zu wappnen, und seine Ordensbrüder würden bei der ersten Attacke am nächsten Morgen deshalb auf weniger Gegenwehr stoßen.
    Eleäzaras beugte sich vor. »Wir hätten keinen Starken einsetzen sollen – ein Schwacher hätte für unsere Zwecke vollauf genügt. Besonders Zioz hätten wir nicht verwenden dürfen! Du hast mir selbst gesagt, dass er langsam gefährlich wird.«
    »Alles ist in bester Ordnung, Eli.«
    »Du wirst rücksichtslos…«
    Bin ich so ein Feigling geworden?
    Iyokus wandte sich ihm zu. Wo seine Verbände eng an den durchsichtigen Wangen anlagen, waren sie blutgetränkt.
    »Sie müssen uns fürchten«, sagte er. »Und das tun sie jetzt.«
     
     
    Der seltsame Schreck, sich beim Erwachen einer tödlichen Bedrohung gegenüberzusehen, glich einem in träge Ungläubigkeit gehüllten Schmerz – als wollte etwas tief im Innern einen glauben machen, man schlafe noch.
    »Scylvendil«, keuchte Achamian. Es schien, als sei kein Ton, sondern ein Eishauch aus seinem Mund gekommen. Der zwischen Pferd und Hund anzusiedelnde Gestank des Eindringlings erfüllte das enge Zelt.
    »Wo«, knurrte die Stimme aus der Dunkelheit, »ist er ?«
    Achamian wusste, dass er von Kellhus sprach – sei es wegen der Intensität, mit der der Scylvendi »er« gesagt hatte, sei es, weil auch er selbst fast nur noch an den Dunyain denken konnte. Allerdings suchten alle Menschen nach Kellhus – selbst die, die ihn nicht kannten.
    »Keine Ahnung – «
    »Lüg nicht! Du bist immer bei ihm. Du bist sein Beschützer – ich weiß es!«
    »Bitte…«, keuchte er und versuchte zu husten, ohne dabei den Brustkorb zu heben. Das Chorum war unerträglich geworden. Er fürchtete, sein Herz werde das Brustbein sprengen und ihm aus dem Leib springen. Er spürte die Haut um seine rechte Brustwarze brennen: der Beginn der Versalzung. Er dachte an Carythusal, wo ihm der nun schon lange tote Geshrunni im Heiligen Aussätzigen ein Chorum über die Hand gehalten hatte. Seltsam, dass dieses Chorum einen anderen… Geschmack zu haben schien.
    Es war nie vorgesehen, dass ich entkomme.
    Der Schatten beugte sich wütend über ihn und schien zu knurren. Obwohl Achamian im schwachen Mondlicht nur Cnaiürs Umriss erkennen konnte, sah er ihn deutlich vor seinem inneren Auge: die vernarbten Arme; die Hände, die schon so vielen das Genick gebrochen hatten; das von mörderischem Zorn verzerrte Gesicht.
    »Ich werde nicht noch mal fragen.«
    Was ging hier vor? Keine Panik, alter Narr.
    »Denkst du«, brachte Achamian heraus, »ich würde sein Vertrauen verraten, Scylvendi? Glaubst du, mein Leben gilt mir mehr als seins?« Verzweiflung, nicht Überzeugung, hatte ihn diese Worte sagen lassen, denn er glaubte sie nicht. Dennoch schienen sie den Scylvendi nachdenklich zu stimmen.
    Nach kurzem Grübeln sagte der Barbar aus dem Dunkeln: »Also lass uns miteinander handeln… lass uns tauschen.«
    Warum dieser plötzliche Wandel? Und seine Stimme – hatte sie wirklich gebebt? Der Barbar ließ das Chorum mit einem Ruck in seine Handfläche schnellen. Achamian schrie vor Erleichterung regelrecht auf. Er lag keuchend da und war noch immer verängstigt und erstaunt. Der Schatten betrachtete ihn reglos.
    »Handeln?«, rief Achamian. Jetzt erst bemerkte er die beiden Gestalten, die hinter dem Barbaren saßen, konnte im Dunkeln aber nur erkennen, dass es ein Mann und eine Frau waren. »Worum willst du mit mir handeln?«
    »Um die Wahrheit.«
    Diese Worte, die Cnaiür erschöpft, aber aufrichtig gesagt hatte, trafen Achamian wie ein Hieb. Er stemmte sich auf die Ellbogen und

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