Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
Esmenet selbst.
    Sie verließ das Bad so entspannt wie benommen und mit jenem trägen Wohlbefinden, das nur heißes Wasser stiftet. Die Mädchen kleideten sie an und frisierten sie, und Esmenet lachte über ihre Späße. Yel und Burulan hänselten Fanashila, deren unverblümter Ernst sie – wie so viele Menschen mit dieser Natur – zur Zielscheibe endlosen Spotts werden ließ, unbekümmert und schonungslos. Vermutlich ging es um einen Jungen.
    Wenn sie fertig waren, ging Fanashila ins Kinderzimmer, und Yel und Burulan führten Esmenet kichernd zum Nachttisch, auf dem eine Ansammlung von Kosmetika lag, über die sie, wie sie bestürzt feststellte, in Sumna vor Freude wahrscheinlich geweint hätte. So sehr sie über all die Bürsten, die Schminke und den Puder staunte, machte sie sich doch Gedanken über diesen Besitzerstolz, der ihr früher ganz unbekannt gewesen war. Ich verdiene das, dachte sie und verübelte sich die Tränen, die ihr in den Augen standen.
    Yel und Burulan verstummten.
    Das sind alles nur weitere Dinge, die mir eines Tages genommen werden.
    Sie begegnete ihrem Spiegelbild mit Bewunderung, und die bewundernden Blicke ihrer Sklavinnen vervielfachten dieses Gefühl. Sie war schön – so schön wie Serwë, nur mit dunklem Teint. Wenn sie die exotische Fremde im Spiegel betrachtete, glaubte sie fast zu verdienen, was so viele aus ihr gemacht hatten. Sie glaubte fast, all dies sei wahr.
    Die Liebe zu Kellhus hing an ihr wie die Erinnerung an eine bedrückende Verfehlung. Yel streichelte ihr die Wange; sie war die Mütterlichste der drei und bemerkte stets als Erste ihren Kummer. »Schön«, gurrte sie und musterte sie mit sanftem Blick. »Wie eine Göttin…«
    Esmenet drückte ihr die Hand und strich sich über den noch flachen Bauch. Es ist wahr.
    Kurz bevor sie fertig waren, kehrte Fanashila mit Moënghus und seiner mürrischen Amme Opsara zurück. Dann brachte eine kleine Schar Küchensklaven das Frühstück, das Esmenet in der sonnenhellen Säulenhalle zu sich nahm, während sie Opsara zu Serwës Sohn befragte. Anders als ihre Leibsklavinnen zählte Opsara alles mit, was sie für ihre neuen Gebieter erledigte: jeden Schritt, jede Antwort, jede geputzte Fläche. Zuweilen schäumte sie vor Dreistigkeit, schaffte es aber stets, kurz vor dem offenen Ungehorsam zurückzustecken. Esmenet hätte sie längst ersetzt, wäre Opsara nicht Moënghus, den sie als Mitgefangenen sah, dessen Unschuld es vor seinen Wächtern zu beschützen galt, so deutlich und unbedingt zugetan gewesen. Wenn sie ihm die Brust gab, sang sie manchmal Lieder von eindringlicher Schönheit.
    Opsara machte keinen Hehl daraus, dass sie Yel, Burulan und Fanashila verachtete, die sie ihrerseits mit Entsetzen betrachteten. Nur Fanashila wagte mitunter, über ihre Bemerkungen die Nase zu rümpfen.
    Nach dem Essen nahm Esmenet Moënghus zu sich und zog sich in ihr Himmelbett zurück. Eine Zeit lang saß sie einfach nur da, hielt ihn auf den Knien und blickte in seine großen, offenen Augen. Sie lächelte, während er mit winzigen Händen seine winzigen Zehen umklammerte.
    »Ich liebe dich, Moënghus«, gurrte sie. »Jaja-jaja-jajaja.«
    Und doch schien alles nur ein Traum zu sein.
    »Du wirst nie wieder hungern, mein Schatz. Das verspreche ich dir… jaja-jaja-jaj aja!«
    Moënghus kreischte vor Freude unter dem Kitzeln ihrer Finger. Sie lachte laut, schmunzelte über Opsaras ernste Miene und zwinkerte ihren strahlenden Leibsklavinnen zu. »Bald bekommst du einen kleinen Bruder. Hast du das gewusst? Oder eine Schwester… Dann nenne ich sie Serwë, nach deiner Mutter. Jaja-jaja-jajaja!«
    Schließlich erhob sie sich, gab Opsara das Kind zurück und verkündete ihren Aufbruch. Die vier fielen auf die Knie – die Mädchen, als wäre es ein geliebtes Spiel, Opsara hingegen, als hätte sie Kies in den Gliedern, der sie zu Boden zog.
    Während Esmenet ihnen zusah, dachte sie zum ersten Mal, seit sie ihn im Garten gesehen hatte, an Achamian.
    Auf dem Weg zu ihren Amtsräumen begegnete sie im Flur Werjau, der Bündel von Schriftrollen und Schreibtafeln in den Armen trug. Während sie das niedrige Podium bestieg, ordnete er seine Unterlagen. Ihre Schreibkräfte hatten sich bereits zu ihren Füßen versammelt und knieten an den niedrigen Pulten, die die Kianene bevorzugten. Die neuen Meldungen unter den linken Arm geklemmt, stand Werjau ein paar Schritte von ihr entfernt zwischen ihnen – mitten auf dem Baum, der den tiefroten Teppich des Raums

Weitere Kostenlose Bücher