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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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weißen Mondlicht flüchtig die Stirn und die linke Wange eines bärtigen Gesichts wahr.
    Noch ein Gerücht, das sich als bizarre Tatsache erwiesen hatte: Der Ordensmann der Mandati war nun Wesir von Prinz Kellhus und lehrte ihn die Gnosis. Der Irrsinn schien kein Ende zu nehmen.
    »Achamian!« Wie muss es ihn schmerzen, dachte er, mit denen zu verkehren, die ihm solches Unrecht zugefügt haben. Iyokus hatte Eleäzaras gesagt, die Entführung des Mandati werde nichts Gutes bewirken. So viele Irrtümer! Es war ein Wunder, dass ihr Orden noch so stark war.
    Schattenhaft blieb Achamian etwa fünfzehn Schritte vor Iyokus stehen und starrte ihn durch einige krumme Äste an. Seine Stimme war unerbittlich. »Ärgert dich dein rechtes Auge, Iyokus…«
    Ein furchtbarer Schreck durchfuhr den Chanvsüchtigen. Was ging hier vor? Eleäzaras’ gelallte Warnung klang ihm in den Ohren: »Hüte dich vor dem Ordensmann der Mandati…«
    »Wo ist Prinz Kellhus?«
    Die Silhouette blieb reglos. »Der ist unpässlich.«
    »Aber es hieß…« Iyokus verstummte. Sein Atem ging stoßweise, und ihn fröstelte. Eleäzaras hat es gewusst. Er hat mich ihnen überlassen… Darum war er so betrunken…
    »Ihr seid getäuscht worden«, sagte der Ordensmann der Mandati.
    »Was wollt Ihr – «
    »Erinnert Ihr Euch Eurer Gefühle, damals in Iothiah? Ihr habt sicher gehört, wie ich gekommen bin, um Euch zu töten. Ihr müsst vernommen haben, wie die anderen Euch laut um Hilfe anflehten.«
    Er hatte Alpträume gehabt.
    »Was geht hier vor?«, fragte der Geheimdienstchef.
    »Er hat Euch mir überlassen, Iyokus. Der Kriegerprophet. Ich habe um Vergeltung gebeten. Gefleht habe ich.«
    Zwischen diesen Worten hatte Achamian etwas gemurmelt. Seine Augen und sein Mund glühten plötzlich grell auf.
    »Und er hat Ja gesagt.«
    Iyokus erstarrte. »Ihr habt gefleht?«
    Achamians glühende Augen nickten unsichtbar. Äste und Blüten schienen vor dem schwarzen Hintergrund in ein blutiges Rot getaucht. »Ja.«
    »Das werde ich nicht tun«, sagte Iyokus.
    Es gab Regeln für unterlegene Hexenmeister, doch er folgte ihnen nicht. Er konnte nicht fliehen, da sein Tod in Gestalt ringsum gespannter Bogensehnen auf ihn wartete. Er war in die Falle gegangen.
    Genau wie Achamian in der Sareotischen Bibliothek in die Falle gegangen war.
    Ein Turm aus durchsichtigem Stein sprang um ihn aus dem Boden: sein Abwehrzauber. Dann hallte sein arkanes Murmeln durch die Luft – ein kehliges Gegenstück zu Achamians schneidendem Ton.
    Neben dem Mandati bildeten sich zwei Gewitterwolken mit tiefschwarzer Mitte aus dem Nichts – der Zwillingssturm Houlari – und neigten sich ihm entgegen. Es blitzte. Hauchdünne, weiß glühende Fäden tanzten schubweise um Achamians sphärische Abwehrmauern. Die Schatten der Säulen ringsum zuckten mal hierhin, mal dorthin. Plötzliches Licht ließ die Chorae in den Kolonnaden schimmern. Starr und salzweiß sang Achamian hinter seinen abstrakten Verteidigungsringen weiter.
    Auch Iyokus sang schneller und verband seine Verzweiflung mit den entstellten Bedeutungen, die aus seiner Seele taumelten und Stimme gewannen. Leidenschaft wurde zu Worten, und diese Worte wurden Wirklichkeit. Immer heftigere Blitze verzweigten sich glühend, bis Achamian einem Geist glich, der vor einer halb versunkenen Sonne schwebte. Äste knackten. Blüten stoben in die Luft und wirbelten wie brennende Motten vor dem Firmament. Die Bäume ringsum loderten auf und verwandelten sich in leuchtende Feuersäulen. Die Dolmen ragten orangefarben aus dem Dunkel.
    Achamian trat zwischen den verbrannten Bäumen hervor.
    Entsetzt begriff Iyokus, dass sein Gegner mit ihm spielte. Er ließ den Zwillingssturm fahren und griff zum Vorschlaghammer seines Ordens, dem Drachenkopf.
    Plötzlich türmte sich ein geschuppter Hals über ihm auf, senkte den Rachen und stieß ein Katarakt aus goldenem Feuer aus. Iyokus schrie sein Lied inzwischen beinahe heraus und sah, wie sich die Feuerwalze an Achamians Abwehrmauern teilte, daran abglitt und verschwand, als hätte man brennendes Öl über eine Glaskugel geschüttet. Doch es gab Risse – Bruchstellen, aus denen schwaches Licht strömte.
    Erneut stieß der Drachenkopf Feuer aus, tauchte die Bäume in grelles Licht und blies Blütenblätter wie Heuschreckenschwärme in den Himmel. Und doch rückte der Ordensmann der Mandati immer näher, schritt durch die Feuerkränze und sang sein irrwitziges, unverständliches Lied. Die Risse in seiner Abwehr

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