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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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senkte die Stimme, »und ja…«
    »Was soll das heißen?«
    »Du sollst ihn töten.«
    Blütenduft in der Dunkelheit.
    »Wartet hier auf ihn«, hatte sein Begleiter gesagt und sich wortlos auf dem Weg davongemacht, den sie gekommen waren. Eine Angel quietschte, als die Türen zufielen.
    Iyokus spähte in der Plantage umher, doch das Schwarz unter den Bäumen narrte seine Augen. Mondlicht strömte wie eine fahle Parodie des Sonnenscheins herab und ließ die blühenden Baumkronen blauschwarz erglimmen.
    Er war nicht allein. Gut fünfundzwanzig Bogenschützen waren in den Säulengängen ringsum verteilt, wie ihn das quälende Gefühl von Abwesenheit, das von ihren Chorae ausging, spüren ließ.
    Diese Vorsichtsmaßnahme war begreiflich, vor allem angesichts der jüngsten Geschehnisse.
    Iyokus konnte kaum glauben, was er an diesem Tag gesehen und gehört hatte. Auf der Reise von Shigek nach Caraskand hatten ihn viele Sorgen geplagt. Die entsetzlichen Geschichten über die Leiden des Heiligen Kriegs und vor allem der Scharlachspitzen hatten katastrophale Vorahnungen in ihm aufsteigen lassen. Als der Lotse sein Schiff vor fünf Tagen in den Hafen von Joktha geleitet hatte, war er auf zahllose entsetzliche Enthüllungen gefasst gewesen…
    … aber nicht darauf, dass sich der Heilige Krieg den Launen eines lebenden Propheten untergeordnet hatte und die Rathgeber tatsächlich existierten. Die Rathgeber!
    Doch Iyokus war stets – auch als der Chanv seine kühlen und wohligen Schlingen noch nicht um sein Herz gelegt hatte – sehr gewissenhaft gewesen. Die Dinge besaßen eine ihnen innewohnende Ordnung. Er würde Tage brauchen, um die außergewöhnlichen Einzelheiten ihrer neuen Lage in Erfahrung zu bringen, und noch länger, um ihre Auswirkungen zu erfassen. Doch anders als es Eleäzaras offenbar getan hatte, würde er nicht verzweifeln, ehe er alle Zusammenhänge verstanden hatte. Er würde nicht unter ihrer Last zusammenbrechen.
    Was für ein Verlust! Eli war ein großer Mann, ein genialer Hochmeister gewesen, einst… Der Führungskreis des Ordens musste befragt und vielleicht ein neuer Leiter gewählt werden… jemand, der bei Verstand war. Aber zuerst musste er dem sogenannten Kriegerpropheten auf den Zahn fühlen, dem Mann mit dem zweitausend Jahre alten Namen Anasûrimbor.
    Jetzt erst bemerkte Iyokus die großen Steindolmen, die aus dem Dunkel der Bäume ins Mondlicht ragten, und dachte kurz an die längst verstorbenen Menschen, die sie errichtet hatten. Solche steinernen Überreste erlaubten es, die Tiefe der Zeit auszuloten; zugleich aber erschienen sie ihm als die Pfähle, auf denen die Gegenwart ruhte. Sie zeugten von einer Zeit, als noch kein Caraskand diese Hügel umklammert hatte, einer Zeit, in der seine Vorfahren die endlosen Ebenen jenseits des Kayarsus-Gebirges durchstreiften. Wer solche Monumente sah, wer sie wirklich wahrnahm, der verstand – dessen war er gewiss – die schrecklichen Ausmaße des Vergessenen.
    Iyokus hatte stets bedauert, dass die Vergangenheit für die Scharlachspitzen kaum mehr als ein Arsenal darstellte, das sich auf Wissen und Macht hin plündern ließ. Ruinen waren für seine Ordensbrüder nur Steinbrüche. In ihrer Besessenheit, die Mandati zu überflügeln, hatten sie aus dem Vergessen sogar eine Tugend gemacht. »Die Vergangenheit kann nicht bestochen, die Zukunft nicht begraben werden«, pflegten sie zu sagen.
    Das dürfte sich sehr bald ändern. Der Nicht-Gott und die Zweite Apokalypse: Was war, wenn beides Wirklichkeit wäre?
    Iyokus wurde bei diesem Gedanken schwindlig. Schreckliche Bilder standen ihm vor Augen: Leichen, die den Sayut hinuntertrieben; das brennende Carythusal – eine gespenstische Szene wie aus den Sagas; Drachen, die auf die Residenz der Scharlachspitzen niederstießen.
    Das Wichtigste zuerst, ermahnte er sich. Eifer im Denken, Geduld in der Erkenntnis…
    Wind kam auf, fuhr in die Bäume und riss Tausende von Blüten ab, die einen Moment lang die Kurven und Wirbel der Böen sichtbar machten, wie Treibgut Strömungen im Wasser erkennen ließ. Iyokus war klar, dass er diesen Anblick als wunderschön hätte empfinden sollen. Dann spürte er das Mal… ein anderer Hexenmeister näherte sich auf den dunklen Wegen zwischen den Apfelbäumen.
    Wer mochte es sein? Iyokus dachte an die Chorae, die auf ihn gerichtet waren, und widerstand der Versuchung, den Hof zu erleuchten. Blinzelnd sah er eine undeutliche Silhouette zwischen den schwarzen Ästen und nahm im

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