Der tausendfältige Gedanke
bleiben, hatte in den Ratsversammlungen Protest ausgelöst. Die anderen Hohen Herren ersuchten den Kriegerpropheten, Saubon wenigstens darauf zu verpflichten, seinen Untergebenen den Marsch gen Shimeh zu erlauben. Viele taten das ohnehin aus eigenem Antrieb, auch der ungestüme Athjeäri. Letztlich blieben nur etwa zweitausend Galeoth bei ihrem König in seiner leeren Stadt. Es hieß, Saubon habe geweint, als der Kriegerprophet aus dem Tor der Hörner ritt.
Ein ganz anderer Heiliger Krieg zog da auf hügeligen Wegen durch Enathpaneah. Die Neuankömmlinge – in die traditionellen Wappenröcke und Übermäntel ihrer Heimat gekleidet – bezeugten diese Verwandlung am deutlichsten. Die Nachricht, welche Nöte der Heilige Krieg in Caraskand durchstand, hatte einige tausend Inrithi das Wagnis einer winterlichen Seereise eingehen und nach Joktha aufbrechen lassen. Sie trudelten bald, nachdem die Belagerung gesprengt war, vor den Toren ein und warfen sich prahlend vor denen in Pose, die ihnen von den Mauern herab zusahen und einst selbst vor Momemn und Asgilioch posiert und angegeben hatten. Als sie aber die Stadt betraten, verstummten sie und waren entsetzt über die ramponierten Gesichter, die sie starrend empfingen. Die alten Bräuche wurden befolgt – man schüttelte Hände und umarmte seine Landsleute –, doch war das meiste nur Heuchelei.
Die ursprünglichen Männer des Stoßzahns – die Überlebenden – waren zu Söhnen einer anderen Nation geworden. Sie hatten alles Blut vergossen, das sie einst mit diesen Männern geteilt hatten. Die alten Treuepflichten und Traditionen waren nur mehr Geschichten eines fernen Landes wie Zeüm – einer Gegend, die zu weit entfernt lag, als dass man sich dessen, was über sie berichtet wurde, hätte vergewissern können. Die Haken der alten Sitten und Sorgen waren in Speck geschlagen worden, den es nicht mehr gab. Alles, was sie gekannt hatten, war geprüft und für zu leicht befunden worden. Ihre Eitelkeit, ihr Neid, ihre Arroganz und die gedankenlose Engstirnigkeit ihres früheren Lebens war mit ihren Kameraden niedergemetzelt worden. Ihre Hoffnungen waren zu Asche verbrannt, ihre Skrupel von Knochen und Sehnen verkocht – so schien es jedenfalls.
Aus der Katastrophe hatten sie nur das Nötigste gerettet und alles andere über Bord geworfen. Ihr schlichtes Auftreten, ihr vorsichtiges Sprechen, ihre gelangweilte Verachtung jeder Ausschweifung zeugten von einer gefährlichen Sparsamkeit, die nirgendwo offenkundiger wurde als in ihren Augen: Sie blickten mit dem dumpfen Misstrauen von Männern, die nie schliefen – sie starrten oder beobachteten nicht, sondern musterten, und zwar mit einer Unverhohlenheit, die jenseits dessen lag, was sich durch Worte wie »anmaßend« oder »unverschämt« beschreiben ließe.
Sie blickten, als blicke nichts zurück, als wären die Menschen ringsum nur Gegenstände.
Von den Neuankömmlingen schienen selbst die Adligen, die in prächtigen Gewändern steckten, unfähig oder nicht willens, ihnen in die Augen zu blicken. Viele versuchten, wenigstens den Anschein zu wahren, und sahen unbeteiligt drein oder nickten zustimmend, doch ihr Blick kehrte immer wieder zu den eigenen Stiefeln oder Sandalen zurück. Vor den altgedienten Kämpfern des Heiligen Kriegs zu stehen, bedeutete, wie ihnen bald klar wurde, gewogen zu werden – aber nicht von etwas so Fehlerhaftem und Willkürlichem wie einem Menschen, sondern von dem, was er erlitten hatte.
Sie hatten so viel mit angesehen, dass ihr Blick selbst zum Urteil geworden war.
Völlig zermürbt von ihren sogenannten Brüdern wagten nur ein paar hundert Neuankömmlinge, die zweite grundlegende Wandlung des Heiligen Kriegs in Frage zu stellen: den Kriegerpropheten. Wer Macht und Einfluss hatte – wie etwa Dogora Teör, der Graf von Sumagalt –, wurde vom Kriegerpropheten selbst behutsam in den Stamm der Wahrheit geführt. Andere stellten fest, dass sich Richter aus ihrer jeweiligen Heimat mit ihnen angefreundet hatten und sie zum Besuch von Predigten und Bußritualen aufforderten. Wer sich nicht darauf einließ, wurde von seinen Kameraden getrennt und Gruppen von Rechtgläubigen zugewiesen. Die Uneinsichtigsten aber wurden, wie es hieß, vor die Prophetengemahlin gebracht und nie wieder gesehen.
Die Inrithi fanden Enathpaneah vom Feind geräumt vor. Als Gothyelk mit seinen Männern aus Ce Tydonn entlang der Küste vorrückte, stieß er auf die Ruinen von fast hundert niedergebrannten Villen. Zwar
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