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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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hatte, eine Leprösensiedlung nahe der Stadt Sabotha niederzumachen.
    Doch es war zu spät. Athjeäri kehrte bald mit der Nachricht zurück, Gerotha habe seine Felder und Pflanzungen verbrannt. Obwohl die Kianene geflohen waren, stand ganz Xerash den Inrithi feindlich gegenüber.
    Trotz aller Unterschiede fühlte Achamian sich bei der Reise nach Xerash sehr an seine Tage als Proyas’ Privatlehrer in Aöknyssus erinnert. Das redete er sich jedenfalls zunächst ein.
    Als Esmenets Pferd auf einem gefährlichen Serpentinenpfad in den Hügeln von Enathpaneah lahmte, sah Achamian, dass gut ein Dutzend Ritter ihr das eigene Tier anboten. Eigentlich hätten sie ihr auch ihre Ehre abtreten können, denn mit ihren Pferden führten sie schließlich Krieg. Achamian hatte ganz Ähnliches beobachtet, als er Proyas und dessen Mutter zu ihrem Witwengut in Anplei begleitet hatte. Bei einer anderen Gelegenheit begegneten sie Fußsoldaten aus Ce Tydonn – Männern von Lord Iyengar, wie sich später erwies –, die einen frisch erlegten Eber trugen, und zwar auf sieben oder acht Speere gespießt und in die Höhe gestemmt. Dabei handelte es sich um ein altes Ritual, mit dem Vasallen ihre Lehnspflicht zum Ausdruck brachten und das Achamian einst am Hof von Eukernas III. dem Vater von Proyas, gesehen hatte.
    Was ihn trotz der täglichen Folter, so nah bei Esmenet reiten zu müssen, an seine jugendlicheren Tage erinnerte, waren eher die unzähligen kleinen Dinge, die er wiedererkannte. Zum einen behandelten ihn einige im Sakralen Gefolge mit solcher Achtung und solchem Respekt, dass ihr Auftreten ans Komische grenzte. Immerhin war er der Lehrer des Kriegerpropheten, was ihm rasch den albernen Ehrentitel Heiliger Tutor eingebracht hatte. Zum anderen war er nicht mehr zu Fuß unterwegs. Mehr noch als Sklaven waren Pferde ein Zeichen des Adels, und Achamian – der niedere Drusas Achamian – hatte nun sein eigenes Tier, einen geschmeidigen Rappen, der angeblich aus Kascamandris eigener Zucht stammte und dem er – seines armen Maultiers Tagesanbruch gedenkend – den Namen Mittag gegeben hatte.
    Er schwamm geradezu in kleinen Reichtümern. Nicht nur umfasste seine Garderobe jetzt Hemdblusen aus Damast, Kittel aus Musselin und Roben aus Filz – er hatte auch Leibsklaven, die sich um seine zahlreichen Festgewänder kümmerten. Zudem besaß er einen versilberten Brustpanzer, dessen nachträglich angebrachte Lederfalten seinem Leibesumfang Rechnung trugen, eine elfenbeinerne Edelsteinschatulle voller Ringe und Ohrgehänge, die ihm zu lächerlich erschienen, als dass er sie getragen hätte, sowie zwei mit schwarzen Perlen besetzte Broschen, die er heimlich verschenkte; dazu Amber aus Zeüm, Myrrhe aus der Großen Salzwüste und sogar ein echtes Bett – und das auf Reisen! – für die wenigen Stunden, die ihm zum Schlafen verblieben.
    Achamian hatte solche Bequemlichkeiten während seiner Anstellung am Hof von Conriya verachtet. Schließlich war er ein gnostischer Ordensmann, keine anagogische Hure. Doch nach den unzähligen Verlusten, die er erlitten hatte… Das Leben eines Kundschafters war hart. Endlich etwas zu besitzen, erleichterte sein Herz, als wären diese Dinge Balsam für unsichtbare Wunden – und das, obwohl er es nicht über sich brachte, sie zu genießen. Wenn er zuweilen über weiche Stoffe strich oder einmal mehr nach einem Ring suchte, der sich vielleicht doch tragen ließ, befiel ihn beklemmende Traurigkeit, und er dachte daran, wie sein Vater diejenigen verflucht hatte, die ihren Söhnen Spielzeug schnitzten.
    Natürlich gab es auch politische Ränkespiele, die sich aber weitgehend auf das Jnan-Geplänkel der Adligen beschränkten, die beim Sakralen Gefolge verkehrten. Kaum tauchte Kellhus auf, war alles Taktieren zugunsten gleichförmiger Unterwürfigkeit vergessen, ging aber weiter, sobald er verschwunden war. Wenn sich etwas besonders Unangenehmes zusammenzubrauen schien, zog Kellhus die Hauptbeteiligten zur Rechenschaft, und alle beobachteten staunend, wie er Zusammenhänge und Verhaltensweisen erklärte, die ihm doch kaum bekannt sein konnten. Es war, als stünde den Kontrahenten jede Seelenregung im Gesicht geschrieben.
    Das erklärte zweifellos das fast völlige Fehlen politischen Taktierens im Kern des Sakralen Gefolges, bei den Nascenti also und ihren Zaudunyani sowie bei den adligen Verbindungsmännern der Hohen Herren. Je weiter man sich in Aöknyssus Proyas’ Vater genähert hatte, desto rascher waren

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