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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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wiederholte das letzte Wort jedes Mal, obwohl ihn die anderen damit mächtig aufzogen. Sie nannten ihn Hertatatata oder – grausamer noch – Echo.
    Hertata war seltsam.
    »Stell dir vor, Sol: Maithanet!« Er hatte Tränen in den Augen. »Es heißt, dass er abreistabreist – und zwar übers MeerMeer!«
    »Aber die Winde…«
    »… sind heute Morgen aufgefrischt! Sie sind gekommen, und nun segelt er übers Meer, übers MeerMeer!«
    Was ging ihn Maithanet an? Männer mit Goldringen gaben keine Kupfermünzen – es sei denn, sie hatten spezielle Absichten. Was kümmerte ihn Maithanet, der sicher auch keine besseren Absichten hatte?
    Doch die Tränen in Hertatas Augen… Sol sah, dass er Angst hatte, allein zu gehen.
    Er stand ächzend auf, warf die zerlumpte Decke beiseite und tat sein Bestes, um den strahlenden Hertata höhnisch anzulächeln. Er kannte Typen wie ihn. Sie winselten mitten in der Nacht nach ihrer »Mami«, waren nur am Weinen und ließen sich vor Hunger von Männern mit Goldringen hernehmen, weil sie zu viel Angst vorm Stehlen hatten. Sie überlebten nie, keiner. Seinen kleinen Bruder hatte es schließlich auch erwischt…
    Aber nicht Sol! Er war schnell wie ein Hase.
    Ein paar Gassen weiter befand sich eine große Bleicherei, und sie hielten an, um in die riesigen Schüsseln zu schiffen, die davorstanden. Hier war immer viel los, vor allem morgens. Sie vermieden es, die Bettler mit ihren vom jahrelangen Wäschestampfen schwärenden »Bleicherfüßen« anzusehen, mussten aber ihre Flüche und Schmähungen erdulden. Selbst die Krüppel nämlich verachteten diejenigen, die noch ärmer dran waren als sie selbst. Als sie fertig waren, kämpften sich die Jungen durch den Schwefelgestank, der über dem Hof der Bleicherei lag, und lachten über die Männer, die reihenweise in den Zementbecken auf und ab stapften. Das Klatschen, mit dem nasser Stoff auf Trockensteine geschlagen wurde, dröhnte durch die Luft. Sie flitzten an den Viehtreibern vorbei, die sich am Ausgang gegenüber mit ihren Eseln und Wäschekarren drängten.
    »Wird es was zu essen geben?«, fragte Sol.
    »Blütenblätter«, versicherte ihm der jüngere Hertata. »Sie werfen immer Blütenblätter, wenn der Tempelvorsteher sich aufmachtaufmacht.«
    »Ich hab von Essen gesprochen«, stieß Sol hervor, obwohl er wusste, dass er auch Blütenblätter verschlingen würde, wenn er müsste.
    Hertatas braune Augen blieben auf seine Füße gerichtet. Er hatte keine Ahnung. »Aber er ist es, Sol… Maithanet…«
    Sol schüttelte angewidert den Kopf.
    Sie kamen durch die reicheren Straßen an der Hagerna mit ihren Kolonnaden. Kaufleute öffneten die schweren Holzläden ihrer Geschäfte und scherzten dabei mit ihren Sklaven. Zwischen den feinen Wohnhäusern, die den Himmel einzäunten, konnten die Jungen kurze Blicke auf die großen Monumente des Tempelbezirks werfen. Immer wenn sie die Türme der Junriüma sahen, zeigten sie darauf und pfiffen bewundernd durch die Zähne.
    Selbst Waisen konnten hoffen.
    Aus Angst vor den Tempelrittern wagten sie es nicht, die Hagerna zu betreten, sondern folgten den Straßen der Umgebung zum Hafen. Eine Zeit lang gingen sie direkt an der Außenmauer des Tempelbezirks entlang und bestaunten deren ungeheure Ausmaße. Reben verhüllten den Großteil der Mauer, und die beiden rieten abwechselnd, für was der andere die Flecken aus nacktem und altem Gestein halten mochte, die da und dort aus dem grünen Laub sahen: für Hasen, Eulen oder Hunde. Auf dem Porampasmarkt hörten sie zwei Frauen sagen, Maithanets Schiff ankere im Xatantiusbecken, dem sechseckigen Liegeplatz also, den vor sehr langer Zeit ein alter Herrscher in Sumnas Naturhafen hatte anlegen lassen.
    Sie gelangten in den Lagerhausbezirk und stellten überrascht fest, dass selbst hier draußen die Straßen voller Menschen waren, die alle in dieselbe Richtung gingen. Sie hielten an, um den Geruch frischen Brotes zu genießen und über die Maulesel zu lachen, die überall in den schattigen Innenhöfen um die Mühlsteine zockelten. Inzwischen lag Volksfestatmosphäre in der Luft: Lautes Gelächter und lebhafte Diskussionen wurden hier und da von Kinderschreien und Säuglingsgebrüll aufgelockert. Sol quittierte Hertatas lächerliche Bemerkungen immer seltener mit finsteren Blicken und lachte sogar über die Scherze des Jungen.
    Auch wenn er es nie zugegeben hätte, war Sol doch froh, auf Hertata gehört zu haben. Von fröhlichen Menschen umgeben zu sein, die alle in

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