Der tausendfältige Gedanke
waren die meisten einheimischen Enathi – die ursprünglich aus Shigek kamen – in ihren Dörfern geblieben, doch war keiner ihrer Kianene-Herren aufzutreiben, und am Horizont tauchte nicht eine Heidenpatrouille auf. Kein größeres Wohnhaus war unversehrt geblieben. Als Athjeäri und seine Gaenri ans andere Ende von Enathpaneah kamen, rauchten die alten Festungen noch, die die Wege nach Xerash überwacht hatten, aber vom Feind war nichts zu sehen.
Das Rückgrat der Heiden war gebrochen, wie der Kriegerprophet es vorhergesagt hatte. Außer einem Triumphmarsch schien nichts mehr zwischen den Inrithi und dem heiligen Shimeh zu liegen.
Die ersten Einheiten des Heiligen Kriegs marschierten in Xerash ein, schlugen ihr Lager auf der Ebene von Heshor auf und feierten ein großes Fest. In den Erzählungen des Traktats spielte Xerash eine so wichtige Rolle, dass viele behaupteten, sie seien bereits im Heiligen Land. Männer kamen zusammen, um Lesungen aus dem Buch der Händler zu hören, dem Bericht über die Exiljahre des Letzten Propheten unter den verkommenen Xerashi. Den dort aufgezählten Orten endlich ganz nah zu sein, erfüllte sie mit Ehrfurcht.
Aber Namen verändern sich im Lauf der Jahrhunderte, und viele erörterten stundenlang Fragen der Schrift und der Geografie: War die Kleinstadt Bengut nicht eigentlich die Stadt Abetgoka, in der Kaufleute aus Amoteu den Letzten Propheten vor dem Zorn des Königs von Xerash verborgen hatten? Waren die gewaltigen Ruinen, die bei Pidast gesichtet worden waren, nicht die Reste der großen Festung Ebaliol, in der Inri Sejenus eingekerkert worden war, weil er die »Tausend Tempel« prophezeit hatte? In den nächsten Tagen improvisierten Soldaten der Haupttruppen Pilgerzüge zu verschiedenen Stätten ringsum. Und obwohl die Pilger von den hartnäckig schweigenden Ruinen unweigerlich enttäuscht wurden, brannten den meisten bei ihrer Rückkehr doch die Augen vor Begeisterung, denn sie waren in Xerash unterwegs.
Bei Ebaliol kletterte der Kriegerprophet auf die zerstörten Grundmauern und sprach zu Tausenden. »Ich stehe«, rief er, »wo mein Bruder stand!«
Zweiundzwanzig Männer starben im Gedränge der Verzückten – ein Omen dessen, was folgen sollte.
Jahrtausendelang hatten die Könige von Shigek im Norden und die Könige des Alten Nilnamesh im Süden um die sogenannten Mittelländer gerungen. Nachdem er den Shigeki eine vernichtende Niederlage beigebracht hatte, besiedelte Anzumarapata II. – der König von Nilnamesh, der in der Stadt Invishi residierte – die Ebene von Heshor mit Abertausenden seiner Untertanen, um sein Reich durch Zwangsumsiedlung zu sichern. Diese dunkelhäutigen Menschen mit ihren trägen Göttern und losen Sitten errichteten mitten in der Ebene Gerotha, die größte Stadt von Xerash, und schufteten auf den Feldern, wie sie es schon im feuchten Nilnamesh getan hatten.
Zur Zeit des Letzten Propheten war Xerash ein altes, mächtiges Königreich, dem Amoteu wie Enathpaneah tributpflichtig waren. Besonders die Bewohner von Amoteu hielten die Xerashi für ein schamloses Volk und eine Schande für das Land. Den Verfassern des Traktats galt Xerash als Gegend unzähliger Bordelle, brüdermordender Könige und zügelloser Homosexualität. Und obwohl die Nilnameshi längst in ihrer Umgebung aufgegangen waren, bedeutete das Wort »xeratisch« bei den Männern des Stoßzahns noch immer »homosexuell«, und sie straften die dortigen Fanim für die Vergehen lange toter Generationen. Das Xerash, in dem sich die Inrithi bewegten, war ein Gebiet alter, vielfach verzweigter Sünden, und seine Bewohner wurden nicht nur einmal, sondern doppelt zur Rechenschaft gezogen.
Berichte von Massakern häuften sich: Da war die große Festung von Kijenicho an der Küste, deren Besatzung Graf Iyengar durch seine Nangael von den Mauern in die Brecher werfen ließ; da war die ummauerte Stadt Naïth hoch in den Ausläufern der Betmulla-Berge, die Graf Ganbrota und seine Thunyeri aus Ingraul niederbrannten; da waren die Flüchtlinge auf der Via Herotia – dem direkten Weg nach Shimeh! –, die Lord Soter und seine Ritter aus Kishyat grundlos über den Haufen geritten hatten.
Der Kriegerprophet reagierte rasch, verbot alles Morden und Vergewaltigen und tadelte diejenigen, die für die schamlosesten Gräueltaten verantwortlich waren. Er schickte sogar Gotian aus, um Lord Uranyanka, den Pfalzgrafen von Moserothu, auspeitschen zu lassen, der seinen Bogenschützen offenbar befohlen
Weitere Kostenlose Bücher