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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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einzigartig.«
    »Warum?«
    »Die meisten fragen nach ihrer Seele.«
    Achamian vermochte nicht zu reden. Sein Herz schien kaum zu schlagen, seine Lunge kaum zu atmen.
    »Durch mich ist der Stoßzahn neu geschrieben, Akka«, sagte Kellhus und fuhr nach einem langen, suchenden Blick fort: »Verstehst du das? Oder hältst du dich lieber für verdammt?«
    Zwar bekam er keine Antwort, wusste sie aber.
    Achamian hielt sich lieber für verdammt.
    In dieser Zeit sprach er die Beschwörungsformeln nicht weniger als dreimal, konnte Nautzera aber nur einmal Bericht erstatten. Der alte Dummkopf litt offenbar an Schlaflosigkeit und war mal herrisch, mal unterwürfig, als würde er zugleich leugnen und anerkennen, dass sich das Gleichgewicht der Kräfte plötzlich zu seinen Ungunsten verschoben hatte. Als Mitglied des Quorums besaß Nautzera formal unumschränkte Befehlsgewalt über Achamian – er konnte sogar seine Hinrichtung anordnen, falls er der Meinung war, der Auftrag rechtfertige so eine drastische Maßnahme. Tatsächlich aber stellte sich die Situation umgekehrt dar. Die Rathgeber waren wiederentdeckt worden, ein Anasûrimbor war zurückgekehrt, und die Zweite Apokalypse war nah. Nur diese Ereignisse gaben ihrem Orden Sinn, gaben ihm das Mandat, von dem sich sein Name herleitete. Und im Moment sorgte nur einer von ihnen – noch dazu ein Unzufriedener – dafür, dass sie mit den Rathgebern auf Tuchfühlung blieben. In einem angespannten und festgefahrenen Moment des Gesprächs begriff Achamian plötzlich, dass er faktisch ihr Hochmeister geworden war.
    Das war eine weitere beunruhigende Parallele.
    Wie von Achamian erwartet, waren die Mandati in heller Aufregung und hatten überall im Gebiet der Drei Meere ihre Kundschafter unterrichtet. Auch hatte das Quorum eine Abordnung bestimmt, die ins Heilige Land aufbrechen sollte, sobald die Ochala-Winde einsetzten. Diese Nachricht erfüllte Achamian mit einer gewissen Furcht. Ansonsten aber hatten sie keine Ahnung, wie sie fortfahren sollten. Zweitausend Jahre Vorbereitung hatten sie anscheinend völlig unvorbereitet gelassen.
    Das zeigte sich an Nautzeras dauernden Fragen, deren Qualität von töricht bis beunruhigend schlau reichte: Wie konnte der Anasûrimbor die Hautkundschafter erkennen? Kam er wirklich aus Atrithau? Warum zog er noch immer gen Shimeh? Was hatte Achamian von seiner Göttlichkeit überzeugt? Wie stand es um seinen alten Groll? Und wem diente Achamian selbst?
    Auf die letzte Frage antwortete er: »Ich diene Seswatha.«
    Meinem Bruder.
    Er verstand Nautzeras Untertöne sehr wohl: Das Quorum fürchtete um Achamians Verstand, doch angesichts seiner nun zutage getretenen, überragenden Bedeutung hatte es seine Besorgnis mit dem goldenen Anstrich entlastender Erklärungen versehen. Denkt daran, was die Scharlachspitzen ihm angetan haben! Bedenkt, was er durchlitten hat! Achamian wusste, wie das ging. Sie waren gegenwärtig damit beschäftigt, sich Gründe zurechtzulegen, die ihn von der Last befreien sollten, die sie selbst so begehrten. Die Menschen redeten seit jeher so, wie das Verlangen es ihnen diktierte, und folgten seit jeher dem, was die Logiker der Spätantike den »Schluss, der zum Geldbeutel führt«, nannten und von dem sie behaupteten, er habe mehr Menschen zu Schlüssen verholfen, als die bloße Wahrheit es je vermocht hätte. »Wenn es klimpert, ist es wahr«, wie die Cironi gern sagten.
    Trotz seines offensichtlichen Argwohns äußerte Nautzera viele ermutigende Ansichten. Du sollst wissen, dass du mit all dem nicht allein bist, Akka. Der Orden steht dir bei. Solchen Aussagen allerdings ließ er Feststellungen wie diese folgen: Du hast so viel erreicht! Sei stolz, Bruder! Sei stolz!
    Was ja wohl heißen sollte: Du hast genug getan.
    Dann kamen Ermahnungen, die rasch zu Vorwürfen wurden. Nimm dich vor den Scharlachspitzen in Acht!, wurde zu: Du hattest doch Anweisung, auf Vergeltung zu verzichten! Binnen Atemzügen wurde Gib Acht, was du Kellhus lehrst!, zu: Viele denken, dass du unseren Orden verrätst!
    Als Achamian es nicht mehr ertragen konnte, sagte er: Der Kriegerprophet hat mich gebeten, dem Quorum eine Botschaft auszurichten, Nautzera… Wollt Ihr sie hören?
    Er deutete das folgende Schweigen als stille Wut. Sie waren machtlos, und daran hatte er Nautzera erneut erinnert. Sprich, antwortete der alte Hexenmeister schließlich.
    Er sagt: »Ihr seid Mitspieler in diesem Krieg, mehr nicht. Das Gleichgewicht bleibt labil. Ruft euch in

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