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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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gab.
    »Mein Gott«, sagte Dominicé, »wir haben den Hund vergessen«, und er ging zur Türe, um sie zu öffnen.
    Ronny begrüßte den Professor demutsvoll und freudig. Er war dem Professor zugetan, auf eine sonderbar respektvolle Art, so, als habe er einen guten Begriff von dessen geistiger Überlegenheit. Sein Benehmen ihm gegenüber war ohne Familiarität, er sprang nicht an ihm hoch, sondern hob nur die rechte Vorderpfote, die der Professor auch, sich niederbückend, vorsichtig schüttelte. Nach dieser Begrüßung war Ronny zufrieden, er wartete noch, bis der Professor sich gesetzt hatte, dann erst ließ er sich nieder, rieb noch ein wenig seine zottige Schnauze an den Schuhen des bärtigen Gottes und schloß mit einem tief befriedigten Seufzer die Augen.
    »Professor«, eröffnete Madge die Unterredung, »Sie machen mir Sorge. Wissen Sie, daß die Polizei sich für Sie interessiert?«
    »So? Das wundert mich nicht. Die Polizei leidet, wie mir scheint, unter der allgemeinen Arbeitslosigkeit. Auch sie hat nicht genügend zu tun, darum beschäftigt sie sich mit meiner im kriminologischen Sinne wohl herzlich unbedeutenden Persönlichkeit.«
    Darauf schien es den beiden Besuchern, als lächle der Professor – seine Züge waren kaum erkennbar im Schatten – und er verschränkte friedlich seine sehr weißen Finger.
    »Professor«, sagte Madge, »ich würde die Sache nicht zu spaßhaft nehmen. Unten vor Ihrer Türe steht ein Geheimpolizist, der Sie beobachten und wohl auch Ihre Flucht verhindern soll.«
    »Flucht? Aber, mein liebes Kind, ich denke doch gar nicht an Flucht. Ich bin ein alter, harmloser Mann, der ein vielleicht nicht ganz regelmäßiges Leben führt, aber das ist doch noch kein Grund zu einer Verhaftung. Oder?«
    O'Key mischte sich ein.
    »Wo waren Sie letzte Nacht, Professor?«
    Es entstand ein Schweigen, das so schwer im Raum lag, daß Ronny plötzlich die Augen aufschlug, hellwach, den Kopf hob, ein rollendes Stöhnen hervorgurgelte – aber ein sanfter Klaps des Professors beruhigte ihn wieder.
    »Mein junger Freund«, sagte Dominicé, und einen Augenblick war sein Gesicht hellbeleuchtet, als er sich vorbeugte, »glauben Sie nicht, daß dies eine Privatangelegenheit ist?«
    »Nein«, sagte O'Key, es klang nicht unfreundlich, nur respektvoll und feststellend. »Denn dort, wo Sie diese Nacht waren, ist ein Verbrechen geschehen.«
    »Nun, wenn Sie wissen, wo ich gewesen bin, so ist Ihre Frage müßig, mein junger Freund, so ist sie eine Untersuchungsrichterfrage und ich wäre sehr dafür, daß wir dieses Gespräch, falls wir es weiterführen wollen, doch mit menschlichem Anstand fortsetzen. Oder sind Sie ein Emissär der Polizei?«
    »Herr O'Key«, sagte Madge und wurde rot, »ist ein Reporter, den eine Londoner Zeitung zur Aufklärung von Crawleys Tod nach Genf geschickt hat.«
    »So, von Crawleys Tod…« Dominicé zerdehnte die Worte. »Und an Crawleys Tode soll ich wohl auch schuldig sein.«
    »Es scheint so«, sagte O'Key gereizt. Er war über sich selber ärgerlich, denn er mußte sich gestehen, daß der alte Herr da vor ihm auf eine absonderliche Art bedrückend wirkte. Nicht nur, daß es den Eindruck machte, als habe sich der Professor mit einem gläsernen Panzer umgeben, der ihn unantastbar machte, auch sein ganzes Gehaben zeugte von einer Überlegenheit, die niederdrückend wirkte, vielleicht gerade weil sie dem alten Herrn gar nicht bewußt war. »Woher kamen Sie, als Sie in jener Nacht Crawley fanden?«
    »Ich bin ein Nachtwandler, lieber Freund«, sagte der Professor mit einer entwaffnenden Herzlichkeit. »Ich bin spazieren gegangen, weil die Nacht schön war, ich habe zuerst die Wellen des Sees belauscht und die Gespräche der Bäume, dann habe ich versucht, die Geschichten zu enträtseln, die auf den Fronten der Häuser eingegraben sind, in Rissen und Sprüngen, und nur wenige vermögen diese Schrift zu entziffern. Da habe ich zufällig Crawley gefunden… und ihn nicht einmal erkannt.«
    »Flüchten Sie nicht in die Lyrik, Professor. Crawley war an jenem Abend bei Ihnen, oder wollen Sie das leugnen?«
    »Leugnen?« wiederholte Dominicé, »was für sonderbare Worte gebrauchen Sie, mein junger Freund? Ich habe nichts zu verbergen. Crawley war bei mir, das ist wahr, er interessierte sich für eine neue Arbeit von mir, die er ins Englische übertragen wollte. Über diese Arbeit sprachen wir. Und dann verließ er mich, es mochte gegen elf Uhr sein. Und als ich seinen Körper sah, später

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