Der Tee der drei alten Damen
in der Nacht, so ist es gar nicht erstaunlich, daß ich ihn nicht erkannte. Das Gesicht war verkrampft, Crawley war halb entkleidet, und Sie werden selbst wissen, wie sehr ein Mensch durch seine Kleidung verändert wird.«
»Aber, daß er vergiftet war, das wußten Sie sofort?«
»Gifte! Gifte, lieber Freund sind meine Spezialität, die letzten Jahre habe ich mich mit den Wirkungen der Gifte beschäftigt. Fragen Sie Dr. Thévenoz, meinen Schüler. Die Gifte verändern die Seele, nicht wahr, liebes Kind?« Dominicé wandte sich an Madge, die schweigsam dasaß und mit ängstlich verzerrtem Mund dem Redekampf der beiden Männer folgte. Aber Madge antwortete nichts.
»War Eltester, der Apotheker, ein guter Freund von Ihnen?« bohrte O'Key weiter, »besuchten Sie ihn oft? Waren Sie so gut mit ihm bekannt, daß Sie auch nächtelang mit ihm zusammensein konnten?«
»Sie werden indiskret, junger Mann, und ich bewundere meine Geduld, die mich Ihr Fragen ertragen läßt.«
O'Key wollte auffahren, da aber legte Madge ihre Hand auf seinen Arm. »Ruhig, O'Key, so kommen wir nicht weiter. Sie müssen uns nicht für neugierig halten, Professor, wir wollen Ihnen doch helfen, verstehen Sie das nicht? Wissen Sie nicht, daß Sie in einer bösen Situation sind? Ich habe O'Key zu Ihnen gebracht, damit er Sie kennenlernt, damit er versteht, daß es unmöglich ist, Sie zu beschuldigen, aber Sie dürfen es mir nicht zu schwer machen.«
Wahrhaftig, Madge hatte Tränen in den Augen, ratlos stand Ronny in der Mitte des Zimmers; er ging zu jedem, stieß ihn sanft an mit der Schnauze, und seine Blicke bettelten um Frieden; aber auch hier wurde es deutlich, von welch kleinen Zufälligkeiten beginnende Friedensaktionen manchmal abhängig sein können. Ronny fühlte nämlich den Stich eines Flohs, er mußte abhocken und sich kratzen. So kam es, daß die folgende Verständigung ohne seine Hilfe zustande kam.
Professor Dominicé lenkte ein.
»Ich glaube Ihnen, mein Kind, auch Ihnen, junger Mann, glaube ich den guten Willen. Ihre Fragen entstammen wohl nur zu einem kleinen Teil der Neugierde. Sie wollen mir helfen, sagen Sie, und Sie machen Ihre Hilfe abhängig von der Beantwortung einer Reihe von Fragen. Nun, diese Fragen kann ich nicht beantworten. Nehmen Sie meine Behauptung wörtlich: ich kann nicht, und nicht: ich will nicht. Ich bin gebunden, durch ein Versprechen, nennen Sie es ruhig ein Gelübde, also durch ein Gelübde bin ich gebunden. Sie müssen mir einfach glauben, daß ich weder über Crawleys Tod noch über Eltesters Unfall etwas weiß. Diese Dinge sind geschehen ohne mein Zutun. Ich muß es einfach tragen, wenn ich verdächtigt werden sollte. Ich werde mich wehren, und wenn ich Ihrer Unterstützung sicher sein kann, junger Mann, dann will ich zufrieden sein.«
»Aber, Professor«, rief O'Key, »Sie werden eine Verhaftung doch gar nicht überstehen.«
»Warum nicht?« fragte Madge, während der Professor den Kopf im Schatten verbarg. »Mein liebes Kind«, sagte Dominicé, »Sie haben noch viel zu lernen. Haben Sie noch nicht bemerkt, daß ich Morphinist bin. Und in meinem Alter – eine Entwöhnungskur… Ich weiß nicht, ob ich das aushalten werde.«
»Cyrill«, sagte Madge, und sie schob ihren Arm unter den Arm des Reporters, »Cyrill, Sie müssen dem guten Mann helfen.« Dann erst merkte sie, daß sie den Mann, den sie vor knapp einer Stunde kennengelernt hatte, mit dem Vornamen angeredet hatte, nicht nur das, daß sie Arm in Arm mit ihm dasaß, aber trotzig verzog sie das Gesicht und lehnte sich noch enger an O'Key.
»Der arme Thévenoz«, sagte Dominicé in die Stille.
Aber nicht einmal diese Bemerkung machte Eindruck auf Madge. Sie mußte lächeln, denn ihr fiel eine Kindheitserinnerung ein. Nahe beim Sommerhaus ihres Vaters war ein hoher Baum gestanden, der, ganz nahe am Wipfel, zwei Äste getragen hatte. Dort war sie oft gesessen, mit baumelnden Füßen über der grünen Leere, und neben ihr war der Sohn des Gärtners gesessen, ein rothaariger Bursche. Wie alt war sie damals gewesen? Zehn Jahre? Aber sie hatte den Buben sehr lieb gehabt, er hatte eine lange bewegliche Nase gehabt, wie ein Kaninchen, und er war der einzige gewesen, unter all ihren Kameraden, den sie nicht tyrannisiert hatte. Merkwürdig, daß O'Key sie an jenen Jungen erinnerte. Sie hatte eine Zärtlichkeit für ihn gefühlt, schon unten auf der Straße, eine merkwürdig heitere Zärtlichkeit, die nicht zu vergleichen war mit dem verkrampften
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