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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Kriminalistik, er zitiert das Wort des Gentleman-Einbrechers: Nur Dummköpfe erraten . Sie wollen nur erraten, Master O'Key, die Leute verblüffen. Aber Arbeit? Vielleicht langt Ihr Geist zur Aufklärung eines Automobilunfalls. Aber mir scheint, hier haben wir es mit wichtigeren Dingen zu tun.«
    Dies alles wurde in einem merkwürdigen Gemisch von Ernst und Scherz vorgebracht, der O'Key aller Fassung beraubte. Als Madge schließlich noch ein Handtuch befeuchtete und die Konfitürenflecken entfernte, brauchte O'Key einige Minuten, um seine Fassung wieder zu erlangen.
    »Sie müssen verzeihen, Madge«, sagte er, »aber heut morgen sind mir alle Fähigkeiten abhanden gekommen. Ich habe mit einem entsetzlich dicken Staatsrat auf fast nüchternen Magen Whisky trinken und geheimnisvollen Anspielungen lauschen müssen. Er hat mich vor Damen gewarnt, die Tee trinken, er hat mir von einem Maharaja erzählt, der inkognito in der Nähe von Genf wohnt…«
    »Warten Sie, O'Key, der Staatsrat hat Sie vor Damen gewarnt, die Tee trinken? Sehr interessant. Ich trinke zwar auch gerne Tee, aber Schwarztee. Haben Sie nicht an Jane Pochon gedacht? Ich glaube, bei ihr werden wir den Schlüssel finden. Nydecker hat bei ihr gewohnt, Corbaz hat bei ihr gewohnt. Und jetzt, da Sie mich fragen. Beide hatten jenen roten Fleck in der Ellbogenbeuge. Ich habe ihn nicht weiter beachtet, mein Gott, es konnte eine Pigmentierung der Haut sein, aber jetzt erinnere ich mich, er war verblaßt, aber doch deutlich zu sehen. Und was glauben Sie, daß dieser Fleck zu bedeuten hat?«
    »Bei den Hexenprozessen des Mittelalters«, sagte O'Key und geriet wieder in seinen dozierenden Ton, »suchten die Richter zuerst nach dem Abdruck der Teufelskralle. Ich habe bei den Flecken an eine moderne Nachahmung gedacht. Warum? Weil alles nach schwarzer Magie riecht in diesem Fall. Das Hexensalbenrezept, das wir bei Eltester gefunden haben, das Ornat, die Münze mit dem Abraxas… Und alte Damen befassen sich doch gerne… befassen sich doch gerne…« O'Key geriet ins Stottern und Madge vollendete den Satz:
    »Mit dem Teufel, wollten Sie sagen. Das ist auch so ein allgemeiner Ausspruch, der nicht viel zu besagen hat. Aber wir wollen das beiseite lassen. Sie sind ja nur gekommen, um mich über Nydecker auszufragen. Da«, Madge nahm vom Tisch eine rote Mappe und reichte sie O'Key, »Sie können meine Notizen lesen. Ich bitte Sie vor allem den Herrn der ›gelben Himmel‹ zu beachten, von dem Nydecker spricht. Und während Sie die Akten lesen, will ich telephonieren, damit man uns den kleinen Nydecker hierher bringt. Wir wollen sehen, ob ich nicht einen Schlüssel finden kann, um sein Schweigen zu brechen. Es geht ihm jetzt ganz ordentlich, aber er spricht nichts. Hockt herum, ißt nicht mehr als ein Vogel… Was wollen Sie, eine Art katatonen Stupors, aber vielleicht… vielleicht…?«
    O'Key sollte die nachfolgende Szene nie vergessen. Nicht etwa, weil sie ziemlich abrupt endete und ein neues Rätsel aufgab, sondern weil ihr Gehalt an Spannung sehr groß war. Es fehlte die letzte Aufklärung, und gerade jene Erlebnisse, die sich nie ganz restlos klären, haften am stärksten in unserer Erinnerung.
    Madge hatte telephoniert. Nach einer Weile klopfte es an der Tür, sie ging auf, im Rahmen stand ein langer, hagerer Mann mit hängendem Chinesenschnurrbart, und die Farbe seines Gesichtes war gelb. Er ließ seine Blicke suchend über das Zimmer gleiten, aber er sah weder Madge noch O'Key in die Augen. An der Hand hielt der Mann in der weißen Bluse ein kleines Wesen, das verschüchtert hinter ihm zurückblieb, und das der große Mann fast gewaltsam ins Zimmer drängen mußte.
    »Danke, Chef«, sagte Madge, »ich lasse Sie rufen, wenn ich den Patienten nicht mehr brauche. Kommen Sie, Herr Nydecker!«
    Der Oberwärter warf einen langen Blick auf O'Key, der, als wäre er daheim, bequem im Lehnstuhl am Fenster saß, dann machte er eine eckige Verbeugung und verschwand.
    Madge hatte Nydeckers Hand ergriffen, zog den Widerstrebenden in die Mitte des Zimmers, scheuchte O'Key mit einer kurzen Bewegung aus seinem Lehnstuhl auf und ließ das Männchen darin Platz nehmen. Nydecker verhielt sich ganz passiv, nur seine Augen rollten und die Lider bebten, was sicher spaßhaft geschienen hätte, wenn dies alles nicht von einer bedenklichen Leere und Ausdruckslosigkeit gewesen wäre.
    Nydecker balancierte zuerst vorsichtig auf der Kante des Fauteuils. Dann gehorchte er dem sanften Drucke

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