Der Tee der drei alten Damen
von Madges Hand, rückte nach hinten, streckte seine kurzen Beine, aber ohne den Boden erreichen zu können. Madge schob ihm eine Fußbank hin, Nydecker stellte die Absätze darauf, faltete die Hände über seinem eingesunkenen Bauch und blinzelte schläfrig in die gefiederten Blätter der Kugelrobinien, die einem leichten Wind zum Spielzeug dienten. Manchmal sprang der Wind mit einem kurzen Satz ins Zimmer und wieder ins Freie: dann ließ er stets einen leichten Duft von gemähten Wiesen und besonntem Wasser als Erinnerung an seinen Besuch zurück.
»Lieber Wind«, sagte Nydecker leise, streckte die Hand aus, so, als wolle er ein unsichtbares Tier streicheln und zog sie dann wieder zurück. Dies gab Madge einen guten Gedanken ein.
»Wir wollen spielen, Herr Nydecker, ein lustiges Spiel, und der Herr hier wird auch mitspielen.«
»Spielen«, nickte Nydecker. »Monsieur Pierre will gern spielen.«
Und während er dies sagte, blickte er zum ersten Male auf O'Key; in seinen Augen glitzerte ein Verständnis auf, und er lächelte den Journalisten an.
»Ich werde Ihnen nun Worte vorsagen«, fuhr Madge fort, »und Sie werden das erste Wort, das Ihnen darauf einfällt, laut sagen. Verstehen Sie? Der Herr da, übrigens entschuldigen Sie, ich habe ihn noch nicht vorgestellt. . ., das ist also Herr Cyrill O'Key und das ist Herr Nydecker…«
Der Kranke rutschte auf seinem Fauteuil nach vorne, stand dann aufrecht auf der Fußbank und streckte O'Key seine kurzfingrige Hand hin. Die beiden verneigten sich zeremoniös.
»Monsieur Pierre ist entzückt«, sagte Nydecker und versank dann wieder mit zufriedenem Aufseufzen in seinem Lehnstuhl.
Madge holte in ihrer Schublade eine Stoppuhr, sie legte sie vor sich auf den Tisch, nahm sie dann wieder in die Hand, drückte auf den oberen Knopf und hielt sie Nydecker ans Ohr.
Nydeckers Gesicht verklärte sich. Er suchte in der Westentasche, aber die war leer, und nun verzogen sich seine Mienen zu einem weinerlichen Ausdruck.
»Ich habe eine Uhr gehabt«, sagte Nydecker und er sprach ganz natürlich, nicht mehr kindlich wie vorher. »Eine schöne Uhr. Mein Freund hat sie mir geschenkt und hat gesagt: ›Die mußt du immer tragen, siehst du, jetzt geht sie ganz genau, und du mußt sorgfältig mit ihr umgehen, damit du mich nicht verfehlst, wenn ich dir ein Rendezvous gebe.‹«
»Welcher Freund war denn das?«
»Der Freund? Er hat mich immer Pit genannt. Er hat immer viele Papiere gehabt in seiner Tasche. Dann hat er gesprochen, sehr schnell, und die Maschine hat von selbst geschrieben, die Maschine hat die Finger von Monsieur Pierre angezogen. Auch in der Maschine war der große Gott. Und Fliegen, viel Fliegen und Wespen. Gar sehr viel.«
Nydecker schwieg und seufzte tief auf. Seine Augen blickten starr zum Fenster hinaus und der Ausdruck, der in ihnen lag, war schwer zu deuten. Die Pupillen waren merkwürdig groß, die Iris ein schmaler grüner Streifen. O'Key blickte in diese Augen und sagte plötzlich auf Englisch zu Madge:
»Die Augen passen gar nicht zu dem Menschengesicht. Es sind fremde Augen. Bald blicken sie wie die Augen eines Tieres in Todesangst und dann ist wieder etwas abgründig Böses in ihnen. Als ob ein unsauberer Geist sich ihrer bediene, um uns zu foppen.«
»Träumereien!« sagte Madge verächtlich. »Wir wollen das Experiment beginnen.«
»Was ist das denn für ein Experiment?« wollte O'Key wissen.
»Es ist«, sagte Madge, ihr Tonfall wurde ganz wissenschaftlich, sie war vollkommen die erste Assistentin einer psychiatrischen Klinik, »es ist das Jungsche Assoziationsexperiment. Wir haben für die gewöhnlichen Fälle ein vorgedrucktes Exemplar, hier«, und Fräulein Dr. Lemoyne zeigte einen Bogen, der mit vier Wörterkolonnen bedruckt war. »Wir lesen dem Patienten die Worte einzeln vor und verlangen von ihm, er möge das erste ihm einfallende Wort auf das Reizwort sagen. Die Zeit, die zwischen der Nennung des Reizwortes und seiner Antwort liegt, kontrollieren wir mit der Stoppuhr und finden dann gewisse Wörter heraus, die eine längere Reaktionszeit bedingen als andere. Die Wörter mit der längeren Reaktionszeit können uns dann wichtige Aufschlüsse geben über das verborgene Innenleben des Patienten.«
»Merveillös«, sagte O'Key, »ich habe schon einmal von dieser Sache gehört. Und bei diesem kleinen Mann wollen Sie wahrscheinlich Wörter nehmen, die mit unserem Fall Beziehung haben.«
O'Key betonte das »unsere« und haschte nach Madges
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