Der Tee der drei alten Damen
Sie das? – nicht auch für die eigene Tasche arbeitet? Das nur als Beispiel.«
»Was für Telephongespräche, Herr Staatsrat?«
»Das möchten Sie gerne wissen? Sie waren doch heute morgen in Bel-Air? Nicht wahr? Ist da nichts vorgefallen?«
»Doch, wir haben einiges, das heißt Fräulein Lemoyne hat mit meiner Hilfe einiges aus einem Patienten namens Nydecker herausgeholt, und nachher ist der Patient an einer harmlosen Spritze gestorben…«
»Was Sie nicht sagen? An einer Spritze gestorben? Und wenn ich Ihnen nun verrate, daß gestern ein Anruf Baranoffs aufgefangen worden ist, der besagte, der Patient müsse stumm gemacht werden, würden Sie dann die Spritze auch als harmlos bezeichnen?«
»Aber warum haben Sie dann das Unglück nicht verhindert, Herr Staatsrat?«
»Weil ich gerne Pikett spiele. Und die Hauptsache beim Pikett ist das Ablegen, verstehen Sie? Karten, die man nicht brauchen kann, legt man ab, nimmt neue auf. Das habe ich Ihnen doch erklärt, nicht wahr? Ich will keine Probleme. Heutzutage hat alle Welt Probleme. Wir ersticken in Problemen. Ich liebe nur Tatsachen. Die Tatsachen, die mir nicht passen, lege ich ab, und spiele mit den Tatsachen, die mir besser passen. Nicht? Wollen Sie meine Methode einmal probieren?«
»Aber gern…« O'Key saß da mit offenem Mund, raffte sich zusammen und versuchte zu spötteln: »Ich hab gar nicht gewußt, daß Sie eine ganz neue Methode zur Lösung krimineller Rätsel ausgearbeitet haben!«
»Spotten Sie nur, junger Freund, ich habe doch recht. Und ich will es Ihnen beweisen. Haben Sie gehört, daß im letzten Jahresbericht der kantonalen Irrenanstalt Bel-Air mitgeteilt wird, die Aufnahmen hätten sich gegen die früheren Jahre auffallend vermehrt? Alle diese Leute zeigten die gleichen Symptome: die Männlein und Weiblein, die eingeliefert wurden, hörten Stimmen, fühlten sich verfolgt, sprachen vom Fliegen. Das steht natürlich nicht im Jahresbericht, das hab ich sonst erfahren. Viele wurden schon nach Ablauf einer Woche, manche nach zwei Wochen als gebessert entlassen. Und die Ärzte haben sich über diese prompten ›Remissionen‹ weidlich gewundert. Verstehen Sie, wohinaus ich will?«
»Nein, Herr Staatsrat.«
»Nicht? Und dabei haben Sie eine Freundin, die Seelenärztin ist! Dabei zitieren Sie tiefsinnige Stellen, von römischen Historikern, die den Feldzug gegen die Parther schildern und von einem Kraut erzählen, das die Menschen wahnsinnig mache, bevor es sie töte. Lassen Sie sich einmal von Fräulein Lemoyne etwas über die Meskalinversuche Behringers erzählen. Das sind Tatsachen, keine Probleme. Tatsachen, die ebensoviel wert sind wie eine hohe Septim im Pikett und man ist am Ausspielen. Und daß ich am Ausspielen bin, wenn die Partie beginnt, dafür will ich garantieren. Was brauchen Sie noch mehr? Stört Sie die Rolle des Professors? Besessenheit braucht nicht immer dämonisch zu sein. Es gibt auch eine wissenschaftliche Besessenheit. Der alte Professor hat doch allerlei ›Probleme‹ gewälzt, hat Schlafkuren gemacht. Und Schlafkuren wozu? – Um Geisteskrankheiten zu heilen, nicht wahr? Aber kennen Sie die wissenschaftliche Mentalität? Ich will es Ihnen leichtfaßlich darstellen: es genügt den Herren nicht, einen Menschen gesund zu machen, sie wollen, wenigstens die Besessenen unter ihnen, auch die Ursache der Krankheit wissen. Mit andern Worten: es muß bewiesen werden, wie aus einem geistig Gesunden ein Verrückter wird. Und da haben Sie ja alles beieinander, die ganze Theorie unseres Professors: Geisteskrankheiten, hat er einmal gesagt, sind erstens Vergiftungen und zweitens Besessensein. Was wollen Sie eigentlich noch mehr? Sie haben einen okkulten Zirkel und Sie haben die Gifte. Können Sie sich einen günstigeren Boden für Versuche vorstellen? Ich bin sicher, daß Sie etwas Ähnliches gedacht haben, heute morgen, bei dem Assoziationsversuch…«
»Wer hat Ihnen davon erzählt?« fragte O'Key angstvoll.
»Oh«, sagte Herr Martinet, klopfte mit heftigem Geräusch die Pfeife aus, leerte sein Glas auf einen Zug und blies sich auf, »der Staatsrat Martinet ist alt, zugegeben, er ist dick, auch zugegeben – aber glauben Sie, daß dies ein Grund ist, von klugen Frauen verachtet zu werden?«
»Sie wissen, wo Fräulein Lemoyne ist?«
»Aber natürlich, lieber Freund, ich weiß, wo sie ist. Sie ist in Gefahr, vielleicht – nein, brausen Sie nicht auf. Die Gefahr ist vorbei. Ich habe ihr Instruktionen gegeben. Kurz bevor Sie
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