Der Tee der drei alten Damen
einen Abscheu gegen Skandale, begreifen Sie? Sie werden mir helfen, O'Key. Sie müssen schauen, daß Sie von den alten Damen einmal zum Tee eingeladen werden.«
»Herr Georg Whistler, dem ich heute abend vorgestellt worden bin, hat eine Einladung erhalten…«
»Äpfuuuh«, schnaufte Herr Martinet, »wenn ich nicht eine so ausgezeichnete Kinderstube genossen hätte, würde ich jetzt fluchen. Diese Frechheit! Aber desto besser. Sie wissen doch, wer George Whistler ist?«
»J, Herr Staatsrat.«
»Gut, ich werde mit dem Maha… mit Herrn George Whistler sprechen. Wir werden einen Plan vereinbaren.«
»Kennen Sie den Sohn der Witwe Pochon?«
»Den Jules? Von weitem, ja. Warum?«
»Halten Sie den auch für harmlos?«
»Ach, lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrem ›harmlos‹. Im Grunde genommen sind alle Menschen harmlos. Sie tun nur manchmal so, als ob sie dämonisch wären. Jules?« Herr Martinet ließ zehn Rauchwölkchen aus seiner Pfeife steigen, so daß seine Nachdenklichkeit gerade dreißig Sekunden währte. » Einen Raubüberfall hat er auf alle Fälle auf dem Kerbholz. Das weiß ich ganz bestimmt. Damals ist ihm dafür eine tüchtige Tracht Prügel verabfolgt worden. Ich habe mir sagen lassen, er habe sich an einem seiner Bestrafer gerächt, und den andern wolle er sich auch noch kaufen…«
»Von wem haben Sie sich das sagen lassen, Herr Staatsrat, von Ihrer geheimen Privatpolizei?«
»Sie brauchen nicht anzüglich zu werden, werter Freund. Ich gleiche hierin Napoleon, und es ist nicht die einzige Ähnlichkeit, die ich mit diesem Genie teile. Sie wissen, daß der Kaiser seine privaten Spitzel hatte, die Fouché überwachen mußten, aber Fouché war klüger als der Kaiser und kaufte sich die Spitzel. Mir kann man meine Privatspitzel nicht fortkaufen. O nein! Die sind dressiert, sage ich Ihnen! Und ich brauche sie. Man muß so etwas haben, will man in der Politik Erfolg haben. Ich kann dann meinen Untersuchungsrichter, meinen Staatsanwalt überraschen. Das gibt so kleine Triumphe, die als Annehmlichkeiten des Lebens nicht zu verachten sind.«
»Aber Herr Staatsrat, ich bitte Sie, erklären Sie mir, wie Sie indische Petroleumquellen, amerikanische Missionare als Delegierte der Standard-Oil, Geheimagenten der Sowjets, basilidianische Gnosis, Giftpflanzen, Hexenrezepte, indische Maharajas, an lebendem Material experimentierende Psychologen, verschwundene Psychiatrinnen, als irrsinnig eingelieferte harmlose Menschen, den Meister der goldenen Himmel mit dem Holzgesicht, gestohlene und wieder auftauchende Mappen, und zum Schluß noch teetrinkende alte Damen unter einen Hut bringen wollen!« O'Key hatte sich in Eifer geredet und wischte sich die Stirn.
»Äpfuuuh«, sagte Herr Martinet, wieder wanderte sein Taschentuch über die Glatze. »Glauben Sie nicht, daß ein italienischer Salat zuerst aus Blumenkohl, Bohnen, Tomaten, Rettich, Eiern, Öl, Senf bestanden hat? Ist die Mischung dieser Ingredienzen ein Mysterium? Oder, um mich Ihrer Begriffsfähigkeit noch besser anzupassen: Sie gehen von dem falschen Standpunkt aus, daß ein sogenanntes kriminelles Problem mit einem Schachproblem vergleichbar sei. Natürlich, diese Theorie finden Sie in allen Schmökern vertreten. Und bei einem Schachproblem handelt es sich selbstverständlich darum, den Schlüsselzug zu finden. Dieser Schlüsselzug ist gewöhnlich so haarsträubend idiotisch, daß er in einer regelrechten Partie unmöglich wäre, weil in einer Partie eben zwei Persönlichkeiten miteinander kämpfen, die seelische Verfassung der beiden Kämpfer, ihr Charakter doch die ausschlaggebende Rolle spielt. Darum ist eben ein Schachproblem etwas Ausgefallenes, Totes. Das Leben, mein lieber Journalist, ist viel komplizierter. Nehmen wir Ihren Freund zum Beispiel, den russischen Agenten Nummer Zweiundsiebzig, der sich hier Baranoff nennt. – Staunen Sie nicht, ich sage Ihnen ja, ich bin auf dem laufenden. – Also, dieser Baranoff: er ist nicht nur Mitglied der Dritten Internationale, bewegt sich also nicht nur, wie der schwarze Läufer im Schachspiel, auf den schwarzen Diagonalen, Ihr Baranoff ist daneben noch ein Mensch, der sich außerordentlich kompliziert benimmt, weil er egoistisch ist, weil die Ideen, auf die er schwört, auch wenn sie volksbeglückend sind, nicht notwendig auch das Individuum Baranoff befriedigen. Wer garantiert Ihnen, daß Baranoff, den ich übrigens schon seit langer Zeit im Auge behalte – er führt interessante Telephongespräche, wissen
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