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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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kleine Rauchwölkchen steigen. Er schwieg. Ein paar Fliegen summten verschlafen.
    »Beim Anfang natürlich«, sagte Herr Martinet und blickte auf. »Sie erhielten ein Telegramm…«
    »Zwei Telegramme sogar«, unterbrach O'Key hastig. »Eines vom großen Chef und eines von meiner Zeitung.«
    »Und was sagten diese Telegramme?«
    »Abreiset Genf stop untersuchet Giftmord Crawley stop Ferien verschiebet stop Globe.«
    »Und das andere?«
    »Chiffriert, Vertragsentwürfe seien verloren gegangen, ich solle mich beim Colonel melden.«
    »Und dieser Colonel?…«
    »Ist Kammerdiener bei Sir Bose.«
    »Ja, ja«, seufzte Herr Martinet. »Heutzutage herrscht überall der Grundsatz: Warum etwas einfach machen, wenn es kompliziert auch geht.«
    »Sehr richtig«, bestätigte O'Key. »Wann gedenken Sie Ihre Aphorismen in Buchform herauszugeben, Herr Staatsrat?«
    »Weiter, weiter, Herr O'Key, ich bin nicht empfindlich. Mich können Sie nicht aufregen…«
    »Das glaube ich, Herr Staatsrat. Aber meinen Sie nicht auch, man könnte Ihren Aphorismus auch auf den ganzen Fall anwenden?«
    »Finden Sie?« fragte Herr Martinet und ließ auf seiner Stirnhaut ein sanftes Wellengekräusel erscheinen. »Vielleicht haben Sie recht, dann wäre aber die Kompliziertheit schon eine halbe Erklärung. Also, die scheinbare – ich sage mit Absicht die scheinbare – Kompliziertheit des Falles ist ihnen aufgefallen. Wollen Sie mir nicht diese Kompliziertheit näher erörtern?«
    »Nun«, meinte O'Key leicht verärgert, »das scheint mir doch klar. Ein sonst ganz harmloser Mensch, korrekt bis zum Äußersten, zieht sich mitten in der Nacht auf einem öffentlichen Platze aus und stirbt. Ein Apotheker, der einen miserablen Ruf als Rauschgiftlieferant hat, wird nach einer Nacht, in der es reichlich lärmend und liturgisch in seinem Geschäfte zugegangen ist, am Morgen bewußtlos aufgefunden und stirbt im Spital. Ein Professor, der sich früher mit okkulten Phänomenen beschäftigt hat, der Morphinist ist, kennt die beiden. Dann finde ich bei dem Apotheker das Stück eines Rezeptes – Hexensalbe – sowie eine Münze, die ohne Zweifel auf das Vorhandensein einer gnostischen Sekte schließen läßt…«
    »Woher stammt eigentlich Ihre profunde Kenntnis gnostischer Systeme und Ihre Bekanntschaft mit Attalus III. Philometor, letztem König von Pergamo?«
    »Angelesene Weisheit, Herr Staatsrat. Als Achtzehnjähriger habe ich für die ›Versuchung des heiligen Antonius‹ von Flaubert geschwärmt. Und da kommen alle diese gnostischen Sekten vor. Und ein Onkel von mir hat sich sehr für Hexenprozesse interessiert, in einem seiner Bücher war das Rezept vollständig. Es war also nicht schwer, es zu entziffern. Und wenn Sie einmal in Lewins ›Gifte in der Weltgeschichte‹ blättern, werden Sie sicher auf Attalus stoßen; Sie sehen also, ich habe die reine Wahrheit gesprochen, als ich Kommissar Pillevuit mitteilte, das sei alles Bluff.«
    »Entschuldigen Sie sich nicht, O'Key; Bluff ist die ernsteste Sache der Welt. Ohne Bluff würde die Welt stillstehen. Glauben Sie mir, auch das Sonnensystem, in dem wir leben, ist nur ein astronomischer Bluff. Ihr Bluff hat übrigens einen Nutzen gehabt, die Leute haben Angst bekommen…«
    »Welche Leute, Herr Staatsrat?«
    »Das möchte ich eben gerne selber wissen. Sehen Sie, O'Key, ich bin auch in einer schwierigen Situation. Ich habe fast alle Fäden in der Hand, ich kenne die alten Damen, die Tee trinken, sie wären ganz harmlos, diese drei alten Damen, aber es steckt einer dahinter, den ich nicht finden kann…«
    »Der Meister der goldenen Himmel, der Mann mit dem hölzernen Gesicht…?«
    »Richtig, O'Key, eben gerade dieser Herr. Er paßt verteufelt auf. Kommissär Pillevuit hat Ihnen doch die Geschichte des Bankkassiers und der verschwundenen 30 000 Franken erzählt, nicht wahr? Und daß wir nun Jane Pochon mit dieser Angelegenheit in Verbindung bringen können, nicht wahr? Dabei ist die Jane Pochon im Grunde eine harmlose Natur, hysterisch, jawohl, aber was heißt schließlich hysterisch?«
    »Harmlos? Die Pochon?«
    »Harmlos in dem Sinne, lieber O'Key, daß sie nur Befehle ausführt. Ich kann aber eine Entlarvung, wie man sagt, nicht meinem guten Kommissär übertragen. Der würde mit seinen riesigen Pfoten alles zerquetschen. Darum hab ich immer auf einen Menschen gewartet, der mir helfen könnte, die Sache in Ruhe aus der Welt zu schaffen. Wir können keine großen Prozesse brauchen, verstehen Sie? Ich habe

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