Der Tempel der Ewigkeit
verlieh er ihnen ihre Wirksamkeit und beschwor sie, den männlichen wie den weiblichen Dämonen die Kehle zu durchschneiden, sie zu zertrampeln, in Stücke zu reißen und in die Flucht zu schlagen. Dann bereitete er einen Trank zu, der Viperngift enthielt und den Mageneingang des Kindes öffnen sollte. Doch selbst in noch so geringer Menge drohte er für den kleinen Körper eines Säuglings vielleicht zu stark zu sein.
Als Setaou die Arzneikammer verließ, eilte ihm Pariamakhou in heller Aufregung entgegen.
«Schnell, mit dem Kind geht es zu Ende!»
Den Blick der sinkenden Sonne zugewandt, hielt Ramses noch immer seine Tochter in den Armen. Doch trotz seiner magnetischen Kräfte wurde ihr Atem unregelmäßig. Nefertaris Kind, das einzige Kind, das ihrer Vereinigung entsprossen war und leben könnte… Falls Merit-Amun starb, würde Nefertari ihr bald ins Jenseits folgen. Unbändige Wut erfüllte das Herz des Königs, eine Wut, die der herannahenden Finsternis trotzen und seine Tochter aus dem Fluch, der auf ihr lastete, erretten würde.
Da betrat Setaou mit dem geschnitzten Elfenbein das Gemach.
«Das müßte den Zauber bannen», erklärte er. «Doch es wird nicht genügen. Um die Störungen im Inneren ihres Leibes zu beseitigen, damit sie Nahrung aufnehmen kann, muß man sie dazu bringen, dieses Heilmittel zu trinken.»
Als Pariamakhou hörte, woraus es sich zusammensetzte, brauste er auf.
«Das lasse ich nicht zu, Majestät!»
«Bist du dir der Wirkung sicher, Setaou?»
«Ungefährlich ist sie nicht. Es hegt an dir zu entscheiden.»
«Versuchen wir es.»
DREIUNDVIERZIG
SETAOU LEGTE MERIT-AMUN das Elfenbein auf die Brust. In ihre Wiege gebettet, einen fragenden Blick in den großen Augen, begann das Kind, wieder ruhig zu atmen.
Ramses, Setaou und Pariamakhou standen schweigend daneben. Der Talisman schien zu wirken, aber würde sein Schutz von Dauer sein?
Nach einer Weile wurde Merit-Amun unruhig und weinte.
«Man soll ihr eine Statue der Göttin Opet bringen», befahl Setaou. «Ich gehe noch einmal in die Arzneikammer. Pariamakhou, befeuchte dem Kind die Lippen, aber unternimm bloß sonst nichts!»
Opet, die Göttin in der Gestalt eines weiblichen Nilpferdes, war die Beschützerin der Ammen und Hebammen. Am Firmament schirmte ihr Sternbild den zu neuem Leben erweckten Osiris gegen den Großen Bären ab, dem seiner sethischen Natur gemäß zerstörerische Mächte innewohnten. Mit Muttermilch gefüllt und von den Magiern im Haus des Lebens mit heilenden Kräften versehen, wurde die Opet-Statue an das Kopfende der Wiege gestellt.
Sie beruhigte das Kind. Merit-Amun schlief wieder ein.
Setaou kehrte mit je einem magischen, in größter Eile geschnitzten Elfenbein in jeder Hand zurück.
«Das ist zwar von allem nur etwas», erklärte er, «müßte aber reichen.»
Er legte das erste auf den Bauch des Säuglings und das zweite auf seine Füße. Merit-Amun zeigte keinerlei Regung.
«Im Augenblick wird sie von einer Aura geschützt, die das Unheil von ihr abwehrt. Der Zauber ist gebrochen, der Fluch wirkt nicht mehr.»
«Ist sie gerettet?» fragte der König.
«Nur wenn sie Milch zu sich nimmt, kann sie dem Tod entrissen werden. Sollte ihr Mageneingang verschlossen bleiben, stirbt sie.»
«Dann gib ihr doch deinen Trank.»
«Gib du ihn ihr selbst.»
Behutsam schob Ramses die Lippen seiner tief schlafenden Tochter auseinander und träufelte ihr die bernsteinfarbene Flüssigkeit in den kleinen Mund. Pariamakhou hatte den Kopf abgewandt.
Sogleich schlug Merit-Amun die Augen auf und schrie.
«Schnell», rief Setaou, «die Brust der Göttin!»
Ramses hob seine Tochter hoch, Setaou entfernte den metallenen Stöpsel aus der Brust der Statue, aus der nun die Milch heraustropfte, und der König preßte die Lippen des Kindes an die Öffnung.
Begierig trank Merit-Amun die nahrhafte Flüssigkeit, hielt kaum inne, um Luft zu schöpfen, und stieß ab und zu einen zufriedenen Seufzer aus.
«Was begehrst du, Setaou?»
«Nichts, Ramses.»
«Ich ernenne dich zum Obersten Magier des Palastes.»
«Die sollen ohne mich auskommen! Wie geht es Nefertari?»
«Sie erholt sich überraschend schnell. Morgen kann sie sicher schon in den Garten gehen.»
«Und was macht die Kleine?»
«Ihr Lebenshunger ist nicht zu stillen.»
«Was sagen die sieben weisen Frauen voraus?»
«Der dunkle Schleier, der Merit-Amuns Schicksal verhüllt hatte, ist zerrissen. Sie haben das Gewand einer Priesterin gesehen, eine
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