Der Tempel der Ewigkeit
die Arme.
«Sie ist prächtig. Was befürchtet ihr?»
«Die Kordel des Amuletts, das wir ihr um den Hals hängen sollten, ist gerissen. Das ist ein böses Vorzeichen, Majestät, ein sehr böses Vorzeichen.»
«Ist die Weissagung bereits erfolgt?»
«Wir warten noch auf die Prophetin.»
Sie traf kurz danach ein. Zusammen mit den sechs weisen Frauen ließ sie die Gemeinschaft der sieben Hathoren wiedererstehen, der es oblag, das Schicksal der Neugeborenen zu ergründen. Sie bildeten einen Kreis um das Kind und vereinten ihre Gedanken, um in die Zukunft zu blicken.
Ihre geistige Versenkung dauerte länger als gewöhnlich.
Mit düsterer Miene trat die Prophetin aus dem Kreis heraus und vor den König.
«Der Augenblick ist nicht günstig, Majestät. Wir sind nicht imstande…»
«Belüge mich nicht.»
«Mag sein, daß wir uns irren.»
«Sei aufrichtig, ich bitte dich.»
«Das Schicksal dieses Kindes wird sich in den nächsten vierundzwanzig Stunden entscheiden. Wenn wir kein Mittel finden, die Dämonen zurückzudrängen, die an ihrem Herzen nagen, wird deine Tochter die nächste Nacht nicht überleben.»
ZWEIUNDVIERZIG
DIE AMME, DIE bei bester Gesundheit war, sollte die Tochter des Königspaares stillen. Pariamakhou hatte sich selbst vergewissert, daß ihre Milch den Wohlgeruch zermahlener Karoben verströmte, und um für einen kräftigen Milchfluß zu sorgen, hatte sie Feigensaft getrunken und die in Öl gekochte, zerdrückte Rückenflosse eines Milchfisches gegessen.
Doch zur Verzweiflung der Amme und des Arztes weigerte sich das Neugeborene zu trinken. Man versuchte es mit einer anderen Amme. Ebenso vergebens. Das letzte Mittel, eine besondere, in einem nilpferdförmigen Gefäß aufbewahrte Milch, zeitigte auch keine besseren Ergebnisse. Der Säugling schluckte die aus den Brustwarzen des Tieres tropfende sämige Flüssigkeit nicht.
Der Arzt benetzte die Lippen seiner kleinen Patientin und schickte sich an, das Kind in ein nasses Tuch zu wickeln. Da nahm Ramses es auf seinen Arm.
«Wir müssen ihr Feuchtigkeit zuführen, Majestät.»
«Deine Weisheit ist nutzlos. Meine Kraft wird sie am Leben erhalten.»
Der König drückte seine Tochter an die Brust und begab sich an das Bett von Nefertari. Trotz ihrer Erschöpfung strahlte die Königin.
«Ich bin glücklich… so glücklich!»
«Wie fühlst du dich?»
«Mach dir keine Sorgen um mich! Hast du schon einen Namen für unsere Tochter ersonnen?»
«Diese Aufgabe fällt der Mutter zu.»
«Dann soll sie Merit-Amun heißen, ‹die von Amun Geliebte›, und sie wird deinen Tempel für die Ewigkeit erblicken. Während ich sie zur Welt brachte, ließ mich ein sonderbarer Gedanke nicht los… Er muß so schnell wie möglich gebaut werden, Ramses… Dieser Tempel wird dein wirksamstes Bollwerk gegen alles Böse. In ihm werden wir vereint jedem Ungemach trotzen.»
«Dein Wunsch soll in Erfüllung gehen.»
«Warum preßt du unser Kind so fest an dich?»
Nefertaris Blick war so klar, so vertrauensvoll, daß Ramses es nicht über sich brachte, ihr die Wahrheit zu verhehlen.
«Merit-Amun ist krank.»
Die Königin richtete sich auf und griff nach dem Handgelenk ihres Gemahls.
«Was fehlt ihr?»
«Sie nimmt keine Nahrung zu sich, aber ich werde sie heilen.»
Völlig entkräftet gab Nefertari sich geschlagen.
«Ich habe schon einmal ein Kind verloren, und jetzt wollen die Mächte der Finsternis uns wieder unsere Tochter rauben… Mich verschlingt die Nacht…»
Ihr schwanden die Sinne.
«Zu welchem Ergebnis bist du gelangt, Pariamakhou?» fragte Ramses.
«Die Königin ist sehr geschwächt», antwortete der Arzt.
«Wirst du sie retten können?»
«Das vermag ich nicht zu sagen, Majestät. Aber falls sie überlebt, wird sie kein Kind mehr bekommen können. Eine erneute Schwangerschaft wäre für sie tödlich.»
«Und unsere Tochter?»
«Da verstehe ich nichts mehr. Im Augenblick wirkt sie so ruhig. Vielleicht trifft ja die Vermutung der Hebammen zu, aber sie erscheint mir so unsinnig.»
«Was vermuten sie? Sprich!»
«Sie glauben, über deinem Kind liege ein böser Zauber.»
«Ein Zauber? Hier, in meinem Palast?»
«Deshalb halte ich diese Ansicht ja für unwahrscheinlich. Dennoch sollten wir vielleicht die Magier des Hofes zu Rate ziehen…»
«Und wenn einer von ihnen der Schuldige ist? Nein, mir bleibt nur noch eine einzige Möglichkeit.»
Inzwischen war Merit-Amun in Ramses’ starken Armen eingeschlafen.
Der Hof schwirrte von
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