Der Tempel der Ewigkeit
deinem eigenen Anliegen das Wort, Nebou?»
«Unter anderen Umständen hätte ich gewiß versucht, dich mehr oder weniger zu beeinflussen, doch die Bedenklichkeit dessen, was du gesagt hast, verwehrt mir dies. In Luxor strömen die Kräfte zusammen, deren Karnak bedarf, um das Göttliche erstrahlen zu lassen, und deren du bedarfst, um regieren zu können.»
«Ich werde deine Meinung erwägen, Oberpriester, erteile dir aber dennoch den Befehl, das Ritual vorzubereiten, das vonnöten ist, um den Bau meines Tempels der Millionen Jahre zu beginnen, der am Westufer des Nils erstehen soll.»
Um die Erregung zu besänftigen, die sich seiner bemächtigt hatte, trank Doki mehrere Schalen starken Biers. Seine Hände zitterten, und kalter Schweiß rann ihm den Rücken hinunter. Nachdem er soviel Ungerechtigkeit hatte erdulden müssen, winkte ihm endlich das Glück!
Ihm, dem Zweiten Propheten des Amun, den der König dazu verurteilt hatte, in seiner untergeordneten Stellung dem Alter entgegenzugehen, war ein Staatsgeheimnis von größter Bedeutung zu Ohren gekommen. Mit diesem Eingeständnis der drohenden Gefahr hatte Ramses einen Fehler begangen, den er, Doki, sich zunutze machen würde, in der Hoffnung, auf diesem Weg das Amt des Oberpriesters zu erlangen.
Der Tempel der Millionen Jahre… Eine unverhoffte Gelegenheit, der Ausweg, der ihm unerreichbar erschienen war! Aber er mußte sich beruhigen, durfte nicht übereilt handeln und dennoch keine Zeit verlieren, mußte die rechten Worte finden und zu schweigen wissen.
Seine Stellung als Zweiter Prophet des Amun machte es ihm möglich, Waren beiseite zu schaffen, deren Erlös ihm die erforderlichen Mittel sichern würde. Dazu brauchte er nur einige Zeilen in den Verzeichnissen zu tilgen. Als Oberaufseher über die mit der Aufsicht betrauten Schreiber ging er dabei keinerlei Wagnis ein.
Gab er sich auch keinen trügerischen Hoffnungen hin? Besaß er tatsächlich die Fähigkeit, einen solchen Plan zu einem guten Ende zu führen? Weder der Oberpriester noch der König waren gutgläubige Kinder. Schon der kleinste Fehler würde ihn entlarven. Doch eine so günstige Gelegenheit würde sich ihm kein zweites Mal bieten. Jeder Pharao baute nur einen Tempel für die Ewigkeit.
Eine halbe Stunde Fußmarsch von Karnak entfernt, war Luxor mit dem riesigen Tempel des Amun durch eine von schützenden Sphingen gesäumte Allee verbunden. Bakhen hatte Einblick in die Archive im Haus des Lebens genommen, in denen die Geheimnisse des Himmels und der Erde verzeichnet waren, hatte die Bücher des Thot gelesen und dann einen Plan zur Vergrößerung von Luxor gezeichnet, der dem von Ramses im ersten Jahr seiner Herrschaft zum Ausdruck gebrachten Wunsch entsprach. Dank der Unterstützung durch Nebou waren die Arbeiten zügig vorangeschritten. In einem an das Heiligtum Amenophis’ III. angrenzenden, mehr als hundert Ellen langen und an die achtzig Ellen breiten Hof sollten Ramses’ Statuen aufgestellt werden. Vor dem eleganten, einhundertdreißig Ellen breiten Pylon würden sechs Kolossalstatuen des Pharaos den Zugang zum Tempel des Ka bewachen, während zwei an die fünfzig Ellen hohe Obelisken in den Himmel emporragen sollten, um schädliche Einflüsse abzuwehren.
Der Sandstein von unvergleichlicher Schönheit, die mit Elektron überzogenen Wände und der Fußboden aus Silber sollten Luxor zu einem unter der Herrschaft von Ramses entstandenen Meisterwerk machen, und die Fahnenmasten mit dem Lilienbanner sollten bis zu den Sternen reichen.
Doch das Schauspiel, dem Bakhen seit über einer Stunde zusah, stürzte ihn in tiefe Verzweiflung. Der einhundertvierzig Ellen lange Lastkahn, der den ersten der beiden Obelisken aus den Steinbrüchen von Assuan herbeibrachte, drehte sich, von einem in keiner Schifffahrtskarte verzeichneten Strudel erfaßt, mitten auf dem Nil um sich selbst. Der Mann, der im Bug des schweren Schiffes aus Sykomorenholz unablässig mit einer langen Stange die Tiefe des Flusses auslotete, um zu verhindern, daß es auf eine Sandbank auflief, hatte die Gefahr zu spät erkannt. Von Panik erfaßt, hatte dann der Steuermann einen Fehler gemacht, wodurch eines der beiden Ruder brach, während sich das zweite verklemmte und unbrauchbar wurde.
Durch die außer Kontrolle geratenen Bewegungen des Lastkahns war seine Ladung verrutscht. Der Obelisk, eine Steinsäule mit einem Gewicht von mehreren tausend Scheffeln Getreide, hatte sich aus seiner Verankerung gelöst und etliche Halteseile
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