Der Tempel der Ewigkeit
Hieroglyphen?»
«Magst du keine anderen Spiele?»
Der kleine Junge zog einen Schmollmund.
«Na schön, einverstanden.»
Und schon lächelte Kha wieder.
Mit dem Zeigefinger malte der König einen Kreis und in dessen Mitte einen Punkt.
«Das ist die Sonne», erklärte er. «Jetzt bist du dran.»
Voller Eifer zeichnete das Kind eine Reihe von Sonnen, die nach und nach auch annähernd rund wurden. Als Iset und Nefertari aus dem Wasser kamen, bestaunten sie das Ergebnis.
«Er ist überaus begabt», stellte die Königin fest.
«Das ängstigt mich beinahe», gestand Iset. «Seinem Erzieher ist es unheimlich.»
«Dazu hat er keinen Grund», befand Ramses. «Mein Sohn soll seinen Weg gehen, wie jung er auch noch sein mag. Vielleicht bereitet ihn das Schicksal schon darauf vor, dereinst meine Nachfolge anzutreten. Diese vorzeitige Reife ist ein Geschenk der Götter. Wir müssen sie anerkennen und dürfen ihr keine Zügel anlegen. Wartet hier auf mich!»
Der König verließ den Garten und entschwand im Inneren des Palastes.
Kha hielt inne, schaute ratlos auf seinen Finger und begann zu weinen.
«Darf ich ihn in die Arme nehmen?» fragte Nefertari Iset.
«Ja… ja, natürlich.»
Das Kind beruhigte sich sogleich, und in Nefertaris Blick spiegelte sich unendliche Zärtlichkeit wider. Da wagte Iset, die Frage zu stellen, die ihr auf dem Herzen lag.
«Trägst du dich trotz des Unglücks, das dich getroffen hat, mit der Absicht, noch einmal ein Kind zu bekommen?»
«Ich glaube, ich bin wieder schwanger.»
«Oh… Mögen die Götter der Fruchtbarkeit dir diesmal wohlgesinnt sein.»
«Ich danke dir für diese Worte. Sie werden mir bei der Niederkunft helfen.»
Iset verbarg ihre Bestürzung. Daß Nefertari die unangefochtene Königin war, störte sie nicht, sie neidete ihr auch nicht das mit Pflichten und Sorgen überhäufte Dasein der großen königlichen Gemahlin, doch sie - die schöne Iset - wäre gern die Mutter noch vieler Kinder von Ramses geworden, so vieler Kinder, daß der König sie dafür bis ans Ende seiner Tage verehrte. Zwar blieb sie die Frau, die seinen ersten Sohn geboren hatte, doch wenn Nefertari ebenfalls einen Knaben zur Welt brachte, würde Kha wahrscheinlich auf den zweiten Platz verwiesen werden.
Ramses kehrte zurück. Er hatte eine kleine Schreiberpalette geholt, die mit zwei winzigen Tintensteinen, einem roten und einem schwarzen, und mit drei Pinselchen aus dünnen Binsen ausgestattet war. Als er sie seinem Sohn schenkte, strahlte Kha über das ganze Gesicht und drückte die kostbaren Gegenstände an seine Brust.
«Ich hab dich heb, Papa!»
Nachdem Iset und Kha fort waren, verhehlte Ramses seiner Gemahlin nicht, was ihm durch den Kopf ging.
«Ich bin überzeugt, daß Iset an der Verschwörung gegen mich beteiligt war.»
«Hast du sie danach gefragt?»
«Sie gibt zu, mir gram gewesen zu sein, behauptet jedoch, sie habe versucht, mich vor einem drohenden Anschlag zu warnen. Ihr Brief hat mich indes nie erreicht.»
«Und warum glaubst du ihr nicht?»
«Weil ich das Gefühl habe, sie lügt und verzeiht mir nicht, daß ich dich zur großen Gemahlin erwählt habe.»
«Da irrst du.»
«Ihre Schuld muß gesühnt werden.»
«Welche Schuld? Ein Pharao darf nicht strafen, solange er sich nur auf einen flüchtigen Eindruck berufen kann. Iset hat dir einen Sohn geschenkt, sie will dir nichts Böses. Vergiß ihre Verfehlung, falls sie eine begangen haben sollte, und vergiß erst recht, sie dafür zu bestrafen.»
ACHTZEHN
SETAOUS BEKLEIDUNG UNTERSCHIED sich deutlich von der Tracht der im Palast verkehrenden Höflinge und Schreiber. Sein dickes Gewand aus Antilopenleder, dem während des Winters getragenen weiten Hemd nicht unähnlich, war mit heilkräftigen Lösungen getränkt, die Gifte unschädlich machen konnten. Falls Setaou von einem Tier gebissen oder gestochen wurde, zog er sich aus, tauchte das Leder in Wasser und gewann auf diese Weise sein Heilmittel.
«Wir befinden uns nicht in der Wüste», erklärte Ramses. «Hier brauchst du doch deine tragbare Arzneikammer nicht.»
«Dieser Ort ist gefährlicher als die entlegensten Gefilde Nubiens. Schlangen und Skorpione sehen hier zwar anders aus, gedeihen aber prächtig. Bist du bereit?»
«Ja, und wie du es verlangt hast, habe ich heute noch keine Mahlzeit zu mir genommen.»
«Dank meiner Behandlung bist du beinahe gegen alle Gifte gefeit, sogar gegen das einiger Kobras. Möchtest du diesen zusätzlichen Schutz wirklich
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