Der Tempel der Ewigkeit
verpflegt? An den lebhaften Augen des goldgelben Hundes konnte der König ablesen, daß Wächter den scharfen Verweis durchaus verstanden hatte, sich aber nicht im geringsten darum kümmerte. Unter dem Schutz der Raubkatze wähnte er sich stark, beinahe unverwundbar.
Serramannas hohe Gestalt erschien an der Tür zu Ramses’ Amtszimmer.
«Dein Bruder wünscht dich zu sprechen, Majestät, verwehrt mir aber,ihn zu durchsuchen.»
«Laß ihn herein.»
Der Sarde trat beiseite. Chenar warf ihm, während er an ihm vorüberschritt, einen eisigen Blick zu.
«Darf ich mich mit Seiner Majestät unter vier Augen unterhalten?»
Der goldgelbe Hund folgte Serramanna, der es nie versäumte, ihm ein Stückchen Honigkuchen zu geben.
«Wir haben lange unsere Gedanken nicht mehr ausgetauscht, Chenar.»
«Du bist sehr beschäftigt, und ich möchte dich dabei nicht stören.»
Ramses ging um seinen Besucher herum.
«Weshalb betrachtest du mich so eingehend?» fragte Chenar verwundert.
«Du hast an Gewicht verloren, geliebter Bruder…»
«Ich habe mir während der letzten Wochen Mäßigung bei den Mahlzeiten auferlegt.»
Trotz seiner Anstrengungen war Chenar noch wohlbeleibt. Die kleinen braunen Augen funkelten aus einem mondförmigen Gesicht mit prallen, runden Wangen, und die wulstigen Lippen verrieten seine Neigung zu den Freuden der Tafel.
«Warum hast du diesen dünnen Bartstreifen beibehalten?»
«Zum Zeichen meiner immerwährenden Trauer um Sethos», behauptete Chenar. «Wie könnte ich unseren Vater je vergessen?»
«Mich rührt dein Schmerz, und ich teile ihn.»
«Dessen bin ich mir sicher, doch deine Aufgaben verbieten dir, ihn zu zeigen. Bei mir ist das anders.»
«Was führt dich zu mir?»
«Du hast meinen Besuch doch erwartet, nicht wahr?»
Ramses hüllte sich in Schweigen.
«Ich bin dein älterer Bruder und erfreue mich eines vortrefflichen Rufs. Die Enttäuschung, daß ich nicht statt deiner den Thron besteigen konnte, gehört der Vergangenheit an, doch ich kann mich nicht mit dem müßigen Dasein eines reichen Adligen abfinden, der seinem Land von keinerlei Nutzen ist.»
«Ich verstehe dich.»
«Das Amt des Zeremonienmeisters, das du mir anvertraut hast, füllt mich nicht aus, dies um so weniger, als Romet, der neue Vorsteher des Palastes, es gern auf sich nimmt.»
«Wonach steht dir der Sinn, Chenar?»
«Darüber habe ich lange nachgedacht, ehe ich diesen Schritt unternahm, dem in meinen Augen etwas Demütigendes anhaftet.»
«Unter Brüdern sind derlei Worte nicht angebracht.»
«Stellst du die Rechtmäßigkeit meiner Forderungen in Abrede?»
«Nein, Chenar, denn ich kenne sie noch nicht.»
«Bist du willens, mich anzuhören?»
«Sprich doch, ich bitte dich.»
Erregt schritt Chenar auf und ab.
«Sollte ich Wesir werden? Ausgeschlossen. Damit würdest du dich dem Vorwurf aussetzen, mir ein übertrieben großes Vorrecht einzuräumen. Die Leitung der Ordnungskräfte übernehmen? Daran habe ich wohl gedacht, doch diese Aufgabe wäre mir zu vielschichtig. Vorsteher der Schreiber? Eine zu drückende Last, da bleibt nicht genug Zeit für Ruhepausen und Mußestunden. Die Aufsicht über die königlichen Bauarbeiten? Dazu fehlt mir die nötige Sachkenntnis. Oberster Verwalter der Felder und Haine? Dieses Amt ist bereits vergeben. Oberster Vorsteher der Schatzhäuser? Da hast du den behalten, der schon in Sethos’ Diensten stand. Und an einem Leben in Tempeln, an einem Dasein als Oberpriester finde ich keinerlei Gefallen.»
«Was strebst du also an?»
«Ein Amt, das meinen Neigungen und meinen Fähigkeiten gerecht wird: Oberster Gesandter. Du weißt, daß ich schon immer dafür eingetreten bin, mit unseren Vasallen und unseren Nachbarn Handel zu treiben. Anstatt mich auf Abkommen zu beschränken, die nur mein eigenes Vermögen mehren, möchte ich mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, Ägyptens Beziehungen zu den Fremdländern zu verbessern und damit den Frieden zu stärken.»
Endlich hörte Chenar auf, hin und her zu laufen.
«Mißfällt dir mein Vorschlag?»
«Du lädst schwere Verantwortung auf dich.»
«Ermächtigst du mich, alles zu tun, um einen Krieg mit den Hethitern zu vermeiden? Niemand wünscht einen blutigen Zusammenstoß. Wenn der Pharao das Amt des Obersten Gesandten seinem älteren Bruder überträgt, beweist das, welch hohe Bedeutung er dem Frieden beimißt.»
Ramses überlegte lange.
«Ich gewähre dir, was du begehrst, Chenar. Aber du wirst Hilfe brauchen.»
«Dann stimme
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