Der Tempel der Ewigkeit
der Oberpriester des Amun noch ein treuer Diener des Pharaos?»
Der Gottesmann wich Ramses’ Blick aus. Um die Fassung zu bewahren, verspeiste er eine Feige und trank ein wenig Bier. Die schlichte Aufmachung des Herrschers stand in auffallendem Gegensatz zur erlesenen Eleganz seines Besuchers, der obendrein nicht daran gewöhnt war, so unmittelbar angegriffen zu werden. Der König hütete sich, ihn allzusehr zu reizen, ließ ihn Atem schöpfen und seine Gedanken sammeln.
«Wie kannst du das in Zweifel ziehen, Majestät?»
«Aufgrund der Untersuchung von Ameni.»
Der Oberpriester lief vor Zorn rot an.
«Diese Mißgeburt von einem Schreiber, dieser Schnüffler, diese Ratte, dieser…»
«Ameni ist mein Freund, und sein einziger Ehrgeiz besteht darin, Ägypten zu dienen. Ich dulde keine Beleidigung, die seinen Ruf befleckt, aus welchem Munde auch immer.»
Der Gottesmann geriet ins Stocken.
«Vergib mir, Majestät, doch sein Vorgehen…»
«Sollte er Gewalt angewendet haben?»
«Nein, aber er ist verbissener als ein Schakal, der seine Beute verschlingt.»
«Er erfüllt seine Aufgaben gewissenhaft und läßt keine Einzelheit außer acht.»
«Was hast du mir vorzuwerfen?»
Ramses blickte dem Oberpriester in die Augen.
«Weißt du das nicht?»
Ein zweites Mal wandte der Gottesdiener den Blick ab.
«Gehört all der Boden Ägyptens nicht dem Pharao?» fragte Ramses.
«So gebietet es das Vermächtnis der Götter.»
«Aber dem König steht es zu, gerechten, weisen und tapferen Männern Felder zu schenken, wenn sie diesen Besitz verdient haben.»
«So ist es Sitte.»
«Darf der Oberpriester des Amun handeln wie der König?»
«Er ist sein Beauftragter und sein Statthalter in Karnak.»
«Bist du bei diesem Auftrag nicht ein bißchen zu weit gegangen?»
«Ich verstehe nicht…»
«Du hast Ländereien an Männer abgetreten, die dadurch in deiner Schuld stehen, insbesondere an Angehörige des Heeres, deren Treuepflicht mir gegenüber sich deshalb vielleicht schon morgen als tragwürdig erweisen wird. Bedarfst du etwa einer Armee, um das Gebiet zu verteidigen, das dir zu eigen ist?»
«Das haben nur die Umstände so ergeben, Majestät. Was leitest du daraus ab?»
«Drei Städte gewähren den drei größten Tempeln des Landes ihren Schutz: Heliopolis ist die heilige Stätte des Re, des schöpferischen Lichts; Memphis die des Ptah, der das Wort erschaffen hat und die Künstler beflügelt; Theben die des Amun, des Verborgenen, dessen wahre Gestalt keiner kennt. Mein Vater war darauf bedacht, diese drei Gottheiten im Gleichgewicht zu halten. Durch dem Gebaren hast du diese Harmonie gestört. Theben ist aufgebläht und eitel.»
«Majestät! Beleidigst du nicht Amun?»
«Ich spreche mit seinem Oberpriester, und dem erteile ich den Befehl, jegliches weltliche Tun zu unterlassen, um sich ganz und gar auf das Gebet und den Vollzug der Riten zu besinnen.»
Der Gottesmann erhob sich mit Mühe.
«Du weißt sehr wohl, daß dies nicht möglich ist.»
«Und weshalb nicht?»
«Mein Amt umfaßt gleichermaßen religiöse Aufgaben und solche der Verwaltung - wie dein Amt auch!»
«Karnak gehört dennoch dem Pharao.»
«Niemand bestreitet das, aber wer soll seinen Ländereien vorstehen?»
«Ein Sachkundiger, den ich dazu ernennen werde.»
«Damit würdest du die bestehende Rangordnung außer Kraft setzen. Begeh nicht diesen Fehler, Majestät! Wenn du die Priesterschaft des Amun gegen dich aufbringst, wird dir das in einer Weise schaden, die nicht wiedergutzumachen ist.»
«Soll das eine Drohung sein?»
«Der Rat eines erfahrenen Mannes an einen jungen Herrscher.»
«Glaubst du, daß ich ihn befolgen werde?»
«Regieren ist eine schwierige Kunst. Sie erfordert zahlreiche Bündnisse, zu denen das mit der Priesterschaft des Amun gehört. Selbstverständlich werde ich deinen Anweisungen gehorchen, wie auch immer sie lauten mögen, denn ich bleibe dein treuer Diener.»
Obwohl ihm die Erschöpfung anzusehen war, hatte der Oberpriester wieder Zuversicht gefaßt.
«Entfessele keinen unnötigen Krieg, Majestät, du hättest dabei viel zu verlieren. Wenn sich die überschwengliche Freude an der Macht gelegt hat, dann kehre zur Vernunft zurück und verändere nichts von Grund auf. Die Götter verabscheuen Ausschweifungen. Entsinne dich, wie beklagenswert Echnaton mit Theben verfuhr.»
«Die Maschen deines Netzes scheinen gut geknüpft zu sein, doch der Schnabel eines Falken vermag sie zu zerreißen.»
«Das ist
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