Der Tempel der Ewigkeit
recht, doch wer vermöchte sich dem Willen des Königs zu widersetzen?»
«Mein Beschluß ist bereits in Stein gemeißelt», gab Ramses bekannt. «Mehrere Stelen werden von Nebous Ernennung künden.
Ist einer unter euch, der ihn für unwürdig erachtet, dieses hohe Amt zuübernehmen?»
Niemand erhob Einspruch.
Der König überreichte Nebou die Symbole seiner Macht: einen goldenen Ring und einen Stab aus Elektron, einer Mischung aus Gold und Silber.
«Fortan bist du der Oberpriester des Gottes Amun, dessen Schatzhäuser und Speicher unter deiner Aufsicht stehen. Gehorche als Vorsteher seines Tempels und seiner Liegenschaften deinem Gewissen, sei rechtschaffen und wachsam! Übe dein Amt nicht zu deinem eigenen Vorteil aus, sondern mehre den Ka der Gottheit! Amun blickt in die Seelen und wiegt die Herzen, er sieht, was sich in jedem Menschen verbirgt. Wenn du ihn erfreust, wird er dir ein langes Leben und ein glückliches Alter bescheren. Gelobst du mit einem Schwur, die Gesetze der Maat zu achten und deine Pflichten zu erfüllen?»
«Beim Leben des Pharaos, ich gelobe es», erklärte Nebou und verneigte sich vor Ramses.
Der Zweite und der Dritte Prophet des Amun waren erzürnt und entmutigt. Ramses hatte nicht nur einen Greis, der ihm aufs Wort gehorchen würde, an die Spitze der Priesterschaft gesetzt, sondern auch noch einen Neuling, diesen Bakhen, zum Vierten Propheten ernannt! Dieser Günstling des Königs würde den Greis überwachen und der wahre Herr von Karnak sein. Damit war die Unabhängigkeit des Tempels gewiß auf Jahre hinaus verloren.
Die beiden Würdenträger begruben jede Hoffnung, eines Tages über die reichste Region Ägyptens zu herrschen. Sie saßen zwischen Nebou und Bakhen in der Falle. Früher oder später würden sie sich dazu gezwungen sehen, ihr Amt niederzulegen, selbst ihre Laufbahn zu zerstören. Ratlos hielten sie nach einem Verbündeten Ausschau. Da fiel ihnen Chenar ein. Aber hatte sich der Bruder des Pharaos nicht auf dessen Seite geschlagen, seit er selbst Oberster Gesandter geworden war?
Da er nichts zu verlieren hatte, suchte der Zweite Prophet Chenar auf, im Namen aller Amun-Priester, die gegen Ramses’ Entscheidung aufbegehrten. Er wurde am Ufer eines Fischteichs im Schatten eines zwischen zwei Pfosten aufgespannten Sonnensegels empfangen. Ein Diener reichte ihm Karobensaft und entschwand wieder. Chenar rollte den Papyrus zusammen, in dem er gerade gelesen hatte.
«Dein Angesicht ist mir nicht unbekannt.»
«Mein Name ist Doki. Ich bin der Zweite Prophet des Amun.»
Der Mann mißfiel Chenar nicht. Er war von kleinem Wuchs, hatte einen kahlgeschorenen Kopf, eine breite Stirn, haselnußbraune Augen, und seine lange Nase sowie das weit vorspringende, energische Kinn erinnerten an die Kiefer eines Krokodils.
«Womit kann ich dir nützlich sein?»
«Du hältst mich gewiß für unbeholfen, doch ich bin im weltlichen Zeremoniell und in den Formeln der Höflichkeit nicht sehr geübt.»
«Verzichten wir darauf.»
«Ein Greis, Nebou, wurde zum Oberpriester, zum Ersten Propheten des Amun, ernannt.»
«Da du sein Zweiter Prophet bist, warst du wohl dazu ausersehen, dieses Amt zu erlangen, nicht wahr?»
«Der verstorbene Oberpriester hatte daraus keinen Hehl gemacht, doch der König überging mich.»
«Es ist gefährlich, seine Entscheidungen zu tadeln.»
«Nebou ist unfähig, Karnak zu führen.»
«Bakhen, der Freund meines Bruders, wird insgeheim der Herr über den Tempel sein.»
«Vergib mir meine unverblümte Frage, aber heißt du derlei gut?»
«Der Wille des Pharaos ist unumstößlich.»
Doki war enttäuscht. Chenar hatte sich also unter das Banner des Königs gestellt. Der Priester erhob sich.
«Ich will dich nicht länger belästigen.»
«Einen Augenblick noch … Du weigerst dich doch, diesen Entschluß anzuerkennen.»
«Der König möchte die Macht der Priesterschaft des Amun schwächen.»
«Weißt du Mittel und Wege, dich dagegen aufzulehnen?»
«Ich bin nicht allein.»
«Für wen führst du hier das Wort?»
«Für einen großen Teil der höheren Beamten und die meisten Priester.»
«Habt ihr schon einen Plan gefaßt?»
«Hoher Herr! Es liegt uns fern, einen Aufstand anzuzetteln!»
«Du bist halbherzig, Doki, und du weißt nicht einmal, was du willst.»
«Ich brauche Hilfe.»
«Stell zuerst deine Fähigkeiten unter Beweis.»
«Aber wie…»
«Das mußt du selbst herausfinden.»
«Ich bin nur ein Priester, ein…»
«Entweder hast du Ehrgeiz,
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