Der Tempel der Ewigkeit
rund um den Polarstern, durch den die Achse verlief, die das Sichtbare mit dem Unsichtbaren verband.
Danach zog sich das königliche Paar in einen Palast zurück, der ihnen, obwohl klein und bescheiden eingerichtet, für eine kurze, von Vogelgezwitscher begleitete Nacht zum Paradies wurde. Nefertari war in Ramses’ Armen eingeschlafen, und sie hatten ihren Traum vom Glück geteilt.
Nachdem sie bei Tagesanbruch die Rituale im Tempel angeführt, dann ein reichhaltiges Morgenmahl eingenommen und im Wasserbecken neben dem Palast gebadet hatten, bereiteten Ramses und Nefertari sich auf ihre Abreise vor. Nahezu die gesamte Priesterschaft gab ihnen das Geleit. Plötzlich scherte Ramses aus dem feierlichen Zug aus und eilte in den Garten, an den heiligen See.
Dort kniete Nebou zwischen Ringelblumen und Rittersporn.
«Achtest du die Königin, Nebou?»
«Welche Antwort erwartest du darauf, Majestät? Sie ist der Inbegriff der Schönheit und Klugheit.»
«Dann würdest du also das, wovon sie überzeugt ist, ernst nehmen?»
«Wovon ist sie überzeugt?»
«Es betrübt mich, dich deiner Ruhe zu entreißen, aber ich muß dich nach Theben mitnehmen. Die Königin wünscht es.» «Wozu?» «Um dich zum Oberpriester von Karnak zu ernennen.»
SIEBENUNDZWANZIG
ALS DIE KÖNIGLICHE Flotte ihre Lichter über die Wasser des Nils tanzen ließ und vor dem Tempel von Karnak anlegte, war ganz Theben in hellster Aufregung. Was hatte diese vorzeitige Rückkehr von Ramses zu bedeuten? Die widersprüchlichsten Gerüchte verbreiteten sich mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes. Für die einen trug sich der König mit dem Gedanken, die Priesterschaft des Amun zu verjagen und der Stadt fortan nur noch den Rang eines bedeutungslosen Marktfleckens in der Provinz einzuräumen, während er für die anderen auf seiner Reise erkrankt war und zurückkehrte, um in seinem Palast angesichts der Berge des Schweigens dahinzusiechen. War der Aufstieg des jungen Pharaos nicht viel zu schnell erfolgt? Nun strafte ihn der Himmel für seine Vermessenheit.
Raia, der syrische Spion im Sold der Hethiter, verging vor Ungeduld. Zum ersten mal verfügte er über keinerlei zuverlässige Auskünfte. Dabei hatte er, ohne Theben zu verlassen, dank der umherziehenden sowie der in den wichtigsten Siedlungen längs des Flusses ansässigen Händler, mit denen er in Verbindung stand, die Ortswechsel des Königs verfolgen können und war unverzüglich über seine Entscheidungen unterrichtet worden.
Weshalb Ramses überstürzt in die Hauptstadt des Südens zurückkehrte, wußte er indes nicht. Wie vorgesehen, hatte der König Abydos besucht, sich dann aber, anstatt seine Reise gen Norden fortzusetzen, auf den Rückweg gemacht und noch für eine Weile in Dendera aufgehalten.
Anscheinend war Ramses wirklich unberechenbar. Er handelte schnell, ohne Berater ins Vertrauen zu ziehen, denn deren geschwätzig ausgeplauderte Geheimnisse wären dem Syrer zu Ohren gekommen. Raia kochte vor Wut. Der junge Herrscher war wahrlich ein nicht zu unterschätzender Gegner, der sich nur schwer überwachen ließ. Chenar würde große Fähigkeiten aufzubieten haben, wenn er die ihm zur Verfügung stehenden Waffen aufs beste nutzen wollte. Falls ein offener Streit ausbrach, würde sich Ramses als viel gefährlicher erweisen, als er vermutet hatte. Untätigkeit war nun nicht mehr ratsam. Er, Raia, mußte flugs und beherzt ans Werk gehen und aus seinem Netz der Kundschafter all jene entfernen, die unfähig oder träge waren.
Mit der blauen Krone auf dem Haupt, in ein langes Gewand aus gefälteltem Leinen gekleidet und mit dem Zepter in der rechten Hand, wirkte Ramses wahrhaft majestätisch. Als er den Saal des Tempels betrat, in dem sich die Mitglieder der Versammlung eingefunden hatten, verstummten alle Gespräche.
«Habt ihr mir einen Namen vorzuschlagen?»
«Majestät», erklärte der Oberpriester von Heliopolis, «wir beraten noch.»
«Eure Beratungen haben ihr Ende gefunden. Hier ist der neue Oberpriester des Amun.»
Auf seinen Stock gestützt, trat Nebou in den Saal.
«Nebou!» rief die Oberpriesterin von Sais aus. «Ich dachte, du seist krank und nicht imstande, dich auf eine Reise zu begeben.»
«Das bin ich wohl, aber Ramses hat ein Wunder vollbracht.»
«Solltest du in deinem Alter nicht einen friedlichen Lebensabend ins Auge fassen?» wandte der Zweite Prophet des Amun ein. «Die Verwaltung von Karnak und Luxor ist eine erdrückende Last!»
«Du hast
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