Der Tempel der Ewigkeit
Bruder des Königs auch nicht mehr an den Plan, den ihm Sary, der vom Haß verblendete ehemalige Erzieher des Herrschers, vorgeschlagen hatte. Ramses zu schwächen, indem man ihn seiner Körperkräfte beraubte, war gewiß kein leichtes Unterfangen. Dennoch hatte dieser Versuch bewiesen, daß es auch in den strengsten Sicherheitsvorkehrungen immer noch eine Lücke gab.
Chenar frohlockte, weil ihm Acha nach einem sehr gelungenen Mahl soeben eine unglaubliche Neuigkeit hinterbracht hatte. Im Heck des über den Nil gleitenden Bootes konnten die beiden Männer von den letzten noch an der Tafel sitzenden Gästen nicht belauscht werden, denn diese hatten dem Wem übermäßig zugesprochen, und der auf dem Schiff anwesende Arzt kümmerte sich gerade um einen hohen Beamten, der sich übergeben mußte, womit er die Aufmerksamkeit der Prasser auf sich zog.
«Oberster Kundschafter… Träume ich auch nicht?»
«Meine Ernennung ist bereits besiegelt.»
«Dann bist du wohl auch beauftragt, mich auszuspionieren?»
«Stimmt.»
«Allem Anschein nach werde ich in meinem Handeln keinerlei Freiheit genießen und soll mich damit zufriedengeben, ohne Befugnisse nur den Freuden der Welt zugetan zu sein.»
«Genau das wünscht der Herrscher.»
«Dann wollen wir ihm diesen Wunsch erfüllen, mein lieber Acha! Ich werde meine Rolle vollendet spielen. Wenn ich es recht sehe, wirst vorwiegend du den König über die Absichten der Hethiter unterrichten.»
«Das ist wahrscheinlich.»
«Stehst du noch zu unserem Bündnis?»
«Mehr denn je. Ich bin überzeugt, daß Ramses ein Tyrann ist. Er verachtet andere und glaubt nur an sich selbst. Sein Hochmut wird das Land ins Verderben führen.»
«Wir beurteilen die Lage nach wie vor gleich, aber bist du auch entschlossen, alle Wagnisse auf dich zu nehmen?»
«Meine Meinung hat sich nicht geändert.»
«Warum verabscheust du Ramses so sehr?»
«Weil er Ramses ist.»
Im Herzen einer grünenden Landschaft gelegen, kam Dendera, der Tempel der schönen und lächelnden Göttin Hathor, einem Lobgesang auf die Harmonie zwischen Himmel und Erde gleich. Hohe Sykomoren, die an der Umfassungsmauer standen, warfen ihren Schatten auf das Bauwerk und seine Nebengebäude, zu denen insbesondere eine Schule der Musik zählte. Als Oberste der in die Geheimnisse des Tanzes der Gestirne eingeweihten Hathor-Priesterinnen freute sich Nefertari über diesen Aufenthalt in Dendera, von dem sie sich erhoffte, für einige Stunden im Heiligtum ihre Gedanken sammeln zu können. Nach der Begebenheit in Abydos hatte der Pharao die Rückkehr in den Süden befohlen, aber die Königin hatte darum gebeten, hier noch anzulegen.
Ramses erschien ihr sorgenvoll.
«Woran denkst du?» fragte sie.
«An die Ernennung eines Oberpriesters des Amun. Ameni hat mir eine genaue Schilderung der jeweiligen Laufbahn der wichtigsten Anwärter für dieses Amt vorgelegt, aber keiner stellt mich ganz zufrieden.»
«Hast du mit Tuja darüber gesprochen?»
«Sie teilt meine Meinung. Es sind nur Männer, die schon Sethos abgelehnt hatte, weil sie allein auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind.»
Nachdenklich betrachtete Nefertari die in den Stein gemeißelten Antlitze der Hathor, die von betörender Anmut zeugten. Da trat unversehens ein sonderbares Leuchten in den Blick der Königin.
«Nefertari…»
Von einer Erscheinung ganz und gar gefangen genommen, antwortete sie nicht. Ramses ergriff ihre Hand, denn er befürchtete schon, sie würde ihm, von der Göttin mit dem sanften Antlitz in den Himmel emporgehoben, für immer entgleiten. Doch da schmiegte sie sich wie erleichtert an ihn.
«Ich war weit entfernt, so weit entfernt… Ein Ozean aus Licht umflutete mich, und ich vernahm die Botschaft einer lieblichen Stimme.»
«Was sagte diese Stimme?»
«Wähle keinen der Männer aus, die man dir vorgeschlagen hat. Wir müssen uns selbst auf die Suche nach dem künftigen Oberpriester des Amun begeben.»
«Dazu bleibt mir keine Zeit mehr.»
«Höre auf das Jenseits. Hat es nicht seit der Geburt Ägyptens das Handeln des Pharaos gelenkt?»
Das königliche Paar wurde von der Vorsteherin der Musikantinnen und Sängerinnen willkommen geheißen, die ihm mit einem Konzert im Garten des Tempels huldigten. Nefertari genoß diese kostbaren Augenblicke, indes Ramses seine Ungeduld kaum zu bezähmen vermochte. Mußte er eine weitere Offenbarung abwarten, ehe er einen Oberpriester des Amun ausfindig machte, den nicht der eigene Ehrgeiz leitete?
Ramses
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