Der Tempel der Ewigkeit
dessen Kraft auch die Steinhauer, Steinmetze und der Baumeister fühlten. Vor ihnen standen nicht nur eine Frau und ein Mann, die einander liebten, sondern ihnen offenbarten sich ein Pharao und eine große königliche Gemahlin, deren Leben und Tod das Siegel des Ewigen trug.
Für eine Weile ruhte die Arbeit, und die Werkzeuge schwiegen. Jeder war sich bewußt, Zeuge des geheimnisvollen Zaubers dieser beiden Menschen zu sein, denen es oblag, über Ägypten zu herrschen, damit der Himmel nicht wanke und die Erde frohlocke. Ohne sie würde der Nil zu fließen aufhören, würden sich keine Fische mehr in seinen Fluten tummeln, keine Vögel mehr in die blauen Lüfte erheben, und die Menschheit wäre ihres Odems beraubt.
Ramses und Nefertari lösten sich aus ihrer Umarmung, ohne ihre Blicke voneinander abzuwenden. Sie hatten soeben die Pforte zur wahren Vermählung durchschritten.
Während die Steinhauer sich wieder ans Werk machten, ging Ramses auf den Baumeister zu.
«Zeig mir den Plan, den du angefertigt hast.»
Sorgfältig prüfte der König die ihm vorgelegte Zeichnung.
«Du verlängerst den ersten Gang. Hier erweiterst du ihn zu einer ersten Kammer mit vier Pfeilern. Dann dringst du tiefer in den Fels ein und legst den Saal der Maat an.»
Der König ergriff die Binse, die der Baumeister ihm reichte, zeichnete mit roter Tinte die gewünschten Änderungen in den Plan ein und fügte die genauen Abmessungen hinzu.
«Nach dem Saal der Maat biegst du im rechten Winkel ab. Dieser schmale, kurze Gang führt in den Goldsaal mit acht Pfeilern, in dessen Mitte der Sarkophag stehen wird und an den mehrere, für das Grabmobiliar bestimmte Kapellen angrenzen. Was meinst du dazu?»
«Das läßt sich gewiß so durchführen, Majestät.»
«Solltest du auf Schwierigkeiten stoßen, wünsche ich unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt zu werden.»
«Ist es nicht meine Aufgabe, sie zu bewältigen?»
Ramses und Nefertari verließen mit ihrem Begleitschutz das Tal der Könige und fuhren in Richtung Nil. Da der Pharao dem Vorsteher seiner Leibwache nicht mitgeteilt hatte, wohin er sich zu begeben gedachte, blieb Serramanna nichts anderes übrig, als aufmerksam die Kuppen der Hügel im Auge zu behalten. Ramses’ Sicherheit zu gewährleisten erforderte ständig höchste Wachsamkeit, denn der junge Monareh kümmerte sich nicht um die Gefahr, der er sich aussetzte. Wenn er sein Glück weiterhin so herausforderte, würde er sich noch zugrunde richten.
Der Wagen des Königs schwenkte inmitten des Fruchtlandes nach rechts und folgte einem Weg, der zunächst am Gräberfeld der Adligen vorbeiführte und dann am Totentempel Thutmosis’ III. des berühmten Pharaos, der es vermocht hatte, mit den Ländern des Ostens Frieden zu schließen und die ägyptische Kultur im gesamten Vorderen Orient und darüber hinaus erstrahlen zu lassen.
An der Grenze zwischen Wüste und Feldern, nicht weit von den Behausungen der Bauarbeiter entfernt, blieb Ramses in unbesiedeltem Gelände stehen.
«Was hältst du von diesem Ort, Nefertari?»
Anmutig streifte die Königin ihre Sandalen ab, um die Kraft, die der Boden ausstrahlte, besser wahrzunehmen. Ihre nackten Füße berührten den heißen Sand kaum, während sie sich nach rechts wandte, dann nach links und wieder umkehrte. Schließlich setzte sie sich im Schatten einer Palme auf einen flachen Stein.
«Diese Stätte birgt eine Macht gleich jener, die in deinem Herzen wohnt.»
Ramses kniete nieder und streichelte behutsam die zierlichen Füße der Königin.
«Gestern», so gestand sie ihm, «empfand ich ein sonderbares, beinahe furchterregendes Gefühl.»
«Kannst du es beschreiben?»
«Du lagst im Inneren eines langgestreckten Steins, von ihm geschützt. Da versuchte jemand, den Stein zu zertrümmern, um dich dieses Schutzes zu berauben und zu vernichten.»
«Ist es ihm gelungen?»
«Meine Seele kämpfte gegen dieses finstere Wesen an und drängte es zurück. Der Stein blieb unversehrt.»
«Ein böser Traum?»
«Nein, ich war wach, als sich das Bild in meine Gedanken drängte wie etwas Wirkliches, weit entfernt und doch deutlich, so deutlich…»
«Hat sich dieses beunruhigende Gefühl wieder gelegt?»
«Nein, nicht ganz. In mir nagt noch eine Angst, als verberge sich irgendwo im Dunkeln, in unerreichbaren Gefilden, ein Widersacher, der danach trachtet, dir Schaden zuzufügen.»
«Ich habe Feinde zuhauf, Nefertari, aber ist das verwunderlich? Um mich zu Fall zu bringen, würden sie auch vor
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