Der Tempel der Ewigkeit
was du gesagt hast, um zu vollbringen, was dir frommt. Erwache in Frieden und erglänze auf der Erde, die nur durch deine Liebe lebt. Durch die Kraft, die von dir ausgeht, erwacht alles, was ist, zu neuem Leben.»
Der König stellte eine Lampe vor die Statue des Gottes, nahm ihm die farbenprächtigen Leinenbänder ab, die ihn bedeckten, reinigte ihn mit dem Wasser aus dem heiligen See, salbte ihn und kleidete ihn in reine Gewänder. Dann brachte er ihm die Opfer dar, indem er laut aufzählte, was die Priester in diesem Augenblick auf den zahlreichen Altären des Tempels niederlegten. Das gleiche Ritual vollzog sich jeden Morgen in jedem Heiligtum Ägyptens.
Schließlich folgte noch das erhabenste Opfer, das der Maat, der Weltordnung.
«Sie spendet dir Leben», versicherte der König dem Gott. «Sie läßt dich gedeihen durch ihren Wohlgeruch und läßt dich erblühen durch ihren Tau.»
Darauf umarmte der Pharao den Mächtigen brüderlich, schloß die Türen des Schreins, schob den Riegel vor und versiegelte ihn wieder. Am nächsten Tag würde Nebou dem Gott huldigen.
Als Ramses den geheiligten Raum verließ, war der Tempel inzwischen zu seiner morgendlichen Betriebsamkeit erwacht. Die Priester holten den Anteil der Nahrungsmittel, der nun den Menschen zugedacht war, von den Altären, aus den Backhäusern von Karnak kamen die ersten Brote und Kuchen, die Schlachter bereiteten das Fleisch für das Mittagsmahl vor, die Handwerker nahmen ihre Arbeit auf, und die Gärtner schmückten die Kapellen mit frischen Blumen. Es würde ein friedlicher und glücklicher Tag werden.
Hinter Serramannas Streitwagen preschte der Wagen des Pharaos durch die trotz der frühen Stunde bereits flirrende Hitze zum Tal der Könige. Obwohl Nefertari diesen glühenden Schmelztiegel fürchtete, war sie heiteren Sinns. Ein feuchtes Tuch im Nacken und ein Sonnenschirm würden ihr helfen, die Unbill zu ertragen.
Ehe sie in den Norden zurückkehrten, wollte Ramses noch einmal die Grabstätte seines Vaters sehen und seine Gedanken vor dem Sarkophag sammeln, dessen Name, «der Herr des Lebens», von seiner Bestimmung kündete. Hier, in der geheimnisvollen Welt des Goldsaals, erneuerte sich Sethos’ Seele immerfort.
Die beiden Gefährte kamen vor dem schmalen Eingang ins Tal zum Stehen. Ramses half Nefertari vom Wagen zu steigen, indes Serramanna trotz der anwesenden Wachen die Umgebung einer genauen Prüfung unterzog. Selbst an diesem Ort verließ ihn sein Argwohn nicht. Der Sarde musterte die Soldaten, die den Zugang zum Tal bewachten, konnte an ihrem Verhalten jedoch nichts Außergewöhnliches feststellen.
Zu Nefertaris Überraschung schlug Ramses nicht den Weg ein, der zu Sethos’ Haus für die Ewigkeit und zu dem des ersten Ramses führte, die dicht nebeneinander lagen. Statt dessen bog er nach rechts ab und strebte einer Baustätte zu. Dort waren Arbeiter damit beschäftigt, Steine zu brechen, die in kleinen Stücken absprangen und in Körben gesammelt wurden.
Ein Baumeister aus der Bruderschaft von Deir el Medineh hatte auf mehreren in einer Reihe ausgerichteten und bereits polierten Felsbrocken einen Papyrus entrollt und verneigte sich vor dem königlichen Paar.
«Hier entsteht mein Grab», erklärte Ramses Nefertari.
«Du hast schon so weit gedacht…»
«Ein Pharao muß bereits im ersten Jahr seiner Herrschaft den Plan seines Hauses für die Ewigkeit entwerfen und mit dessen Bau beginnen.»
Die Traurigkeit, die unversehens Nefertaris Blick verschleiert hatte, verflog wieder.
«Du hast recht, der Tod begleitet uns auf Schritt und Tritt. Wenn wir uns auf ihn vorzubereiten wissen, wird er uns gnädig sein.»
«Erscheint dir dieser Ort geeignet?»
Die Königin tat ein paar Schritte, drehte sich langsam um sich selbst, als ergreife sie Besitz von dieser Stätte und erkunde den Fels bis in seine tiefsten Tiefen. Dann hielt sie mit geschlossenen Augen inne.
«An dieser Stelle wird dein Leib dereinst ruhen.»
Ramses drückte sie an sich.
«Selbst wenn die Gesetze der Maat dir auferlegen, im Tal der Königinnen Einzug zu halten, werden wir einander nie verlassen. Ich werde dem Haus für die Ewigkeit zum schönsten machen, das je in unserem von den Göttern geliebten Land geschaffen wurde. Diejenigen, die nach uns kommen, werden es in ihrem Gedächtnis bewahren und Jahrhunderte über Jahrhunderte seine Schönheit preisen.»
Die Erhabenheit dieses Tals und der Ernst des Augenblicks einten das Königspaar mit einem neuen Band,
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