Der Tempel der vier Winde - 8
an einem Fingernagel und kniff konzentriert die Augen zusammen. »Ich erinnere mich, daß Kolos Tagebuch aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Und an ein Tintenfaß mit Feder. Ich erinnere mich an Kolos Gebeine, die neben dem Stuhl auf dem Boden lagen. Der größte Teil seiner Kleider war längst verrottet. Er trug noch immer seinen Ledergürtel.«
Kahlan erinnerte sich in etwa an die gleichen Dinge. »Aber wißt Ihr, ob dort Bücher in den Regalen standen?«
Kahlan sah an die Decke und dachte nach. »Nein.«
»Nein, da waren keine, oder nein, ich weiß es nicht mehr?«
»Nein, ich weiß es nicht mehr. Lord Rahl war ganz aufgeregt, daß er Kolos Tagebuch gefunden hatte. Er meinte, das sei etwas anderes als die Bücher in der Bibliothek und er habe das Gefühl, das sei jenes, wonach er gesucht hatte: nach etwas anderem eben.«
Kahlan erhob sich. »Ihr zwei sucht weiter in den Büchern. Ich steige hinunter und sehe nach, nur um ganz sicherzugehen.«
Caras Stuhl kippte scheppernd an die Wand, als sie aufstand. »Ich werde Euch begleiten.«
»Dort unten gibt es Ratten.«
Ihrer Miene nahm einen gequälten Ausdruck an. Cara stemmte eine Hand in die Hüfte. »Das wäre nicht das erste Mal, daß ich Ratten zu Gesicht bekomme. Ich werde Euch begleiten.«
Kahlan konnte sich noch gut an Caras Rattengeschichte erinnern. »Das ist nicht nötig, Cara. In der Burg brauche ich Euren Schutz nicht. Draußen ja, aber hier kenne ich die Gefahren besser als Ihr.
Ich sagte, ich würde Euch nicht mit gefährlicher Magie in Berührung bringen. Dort unten gibt es gefährliche Magie.«
»Dann bedroht sie auch Euch.«
»Nein, denn ich kenne mich damit aus. Ihr nicht. Ihr wärt in Gefahr, nicht ich. Als ich noch ein kleines Mädchen war, ließ meine Mutter mich in der gesamten Burg der Zauberer frei herumlaufen, weil man mich über die Gefahren aufgeklärt und mir beigebracht hatte, wie man ihnen aus dem Weg geht. Ich weiß, was ich tue.
Bitte, bleibt hier bei Berdine und seht die Bücher bis zu Ende durch. Das spart uns Zeit, außerdem ist es wichtig. Je eher wir das Gesuchte finden, desto schneller können wir zurück nach Hause und Richard bewachen. Das ist unsere eigentliche Aufgabe.«
Caras Lederanzug knarzte, als sie ihr Gewicht aufs andere Bein verlagerte. »Vermutlich kennt Ihr die Gefahren hier wirklich besser als ich. Ich denke, Ihr habt recht, wenn Ihr zurück nach Hause wollt. Dort unten wartet Nadine.«
35. Kapitel
Während sie immer tiefer hinabstieg, versuchte Kahlan die Karte von der Burg der Zauberer in ihrem Gedächtnis mit den Durchgängen, Treppenhäusern und Räumen zu vergleichen, die sie durchquerte. Ratten quiekten und flitzten vor ihrer Laterne davon.
Sie hatte den Turm vor Kolos Zimmer zwar schon oft von den Brustwehren und Wehrgängen oben von der Burg aus gesehen, war aber, bevor Richard sie dorthin mitgenommen hatte, nie unten gewesen. Unglücklicherweise hatte Richard sie durch gefährliche Durchgänge und Schilde geführt, die sie allein niemals würde passieren können.
Sie vertraute darauf, daß es noch andere Wege zu Kolos Raum gab. Große Bereiche der Burg waren überhaupt nicht durch Schilde gesichert. Sie brauchte bloß einen Weg ohne Schilde zu finden, oder mit Schilden, die sie passieren konnte.
Oftmals dienten die ›harten‹ Schilde, wie Zauberer sie gewöhnlich nannten, lediglich dazu, etwas zu schützen, das sich unmittelbar dahinter befand, und nicht, den Durchgang in einen anderen Bereich zu verwehren. Für viele der Räume, in die Richard sie geführt hatte, galt eben dieses: Es handelte sich um Orte bedrohlicher Magie, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie boten meist einen direkteren Weg, erforderten aber eine besondere Art der Magie.
Wenn sie sich nicht täuschte und Richard die gefährlichen Orte auf verschlungenen Pfaden durchquert hatte, anstatt die harten Schilde zu passieren, die insbesondere den Turm sicherten, dann gab es einen Weg in das Turmzimmer, auf dem sich die gefährlichen Bereiche umgehen ließen. Ihrer Erfahrung nach funktionierte die Burg genau so: Wenn der Raum im Turm einen verbotenen Bereich darstellte, dann wäre er durch eigene harte Schilde gesichert. Wenn nicht, dann gäbe es zumindest einen Weg, auf dem sie hineingelangen konnte. Sie mußte ihn nur finden.
Zwar hatte sie in der Burg viel Zeit zugebracht, aber einen großen Teil dieser Zeit war sie in den Bibliotheken gewesen und hatte studiert. Sie hatte ihre Umgebung natürlich erkundet, aber die
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