Der Tempel der vier Winde - 8
ich das hier abgegeben habe.«
»Sicher, Junge. Sorge du nur dafür, daß du den Brief ablieferst.«
»Ihr habt mein Wort darauf.«
Nachdem Nathan die Tür geschlossen hatte und das Geschäftliche erledigt war, wandte er sich zu ihr um. Er hatte wieder dieses Funkeln in den Augen. Dieses lustvolle Funkeln. Sein verschmitztes Lächeln kehrte zurück.
»Endlich allein, mein Liebling.«
Clarissa quiekte und floh in gespieltem Schrecken zum Bett.
45. Kapitel
»Was geht deiner Meinung nach hier vor?« fragte Ann.
Zedd reckte seinen Kopf in die Höhe und versuchte, etwas zu erkennen. Es war schwierig, vorbei an der Wand aus Beinen, die sie umgab, einen guten Blick zu erhaschen. Die Seelenjäger der Nangtong erteilten schnatternd Kommandos, die er nicht verstand. Einige der Speere aber, die aus dem Kreis auf sie zielten, legten sich ihm auf die Schulter und gaben ihm unmißverständlich zu verstehen, er rühre sich besser nicht von der Stelle.
Bewacht von einem Ring der Wilden, saßen er und Ann mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Erde, während andere ein Stück entfernt mit einer Gruppe Si Doak zusammenhockten und verhandelten.
»Sie sind zu weit weg, um Genaues zu verstehen, aber selbst wenn wir sie hören könnten, nützte das vermutlich auch nicht viel. Ich spreche nur ein paar Brocken Si Doak.«
Ann pflückte einen langen Grashalm und wickelte ihn sich um den Finger. Sie sah nicht zu Zedd hinüber. Schließlich wollte sie ihre Häscher nicht auf den Gedanken bringen, sie seien bei klarem Verstand und in der Lage, irgend etwas auszuhecken.
Nur um den Schein zu wahren, stieß Ann ein hohes, gackerndes Lachen aus. »Was weißt du über diese Si Doak?«
Zedd flatterte mit den Armen wie ein Vogel, der im Begriff steht, sich in die Lüfte zu erheben. »Ich weiß, daß es bei ihnen keine Menschenopfer gibt.«
Ein Wächter schlug Zedd den Speerschaft auf den Kopf, als wollte er ihm jede Absicht austreiben davonzufliegen. Statt loszufluchen, was er nur zu gerne getan hätte, heulte Zedd vor Lachen.
Ann sah ihn aus den Augenwinkeln an. »Änderst du allmählich deine Einstellung, man sollte diese Nangtong ganz nach ihrem Gutdünken leben lassen?«
Zedd grinste. »Wenn ich sie so leben lassen wollte, wie sie es für richtig halten, wären wir längst in der Welt der Seelen. Nur weil man davon überzeugt ist, man sollte Wölfen ihren Frieden lassen, muß man ihnen noch lange nicht erlauben, einem nach Belieben die Herde wegzufressen.«
Sie pflichtete ihm brummend bei.
Ein gutes Stück entfernt, gleich neben einem leicht ansteigenden Hang, zog sich die Verhandlung hin. Ungefähr zehn der Nangtong und die gleiche Anzahl Si Doak saßen mit übereinandergeschlagenen Beinen im Kreis. Die Nangtong zählten laut ab und begleiteten dies mit übertriebenen Armbewegungen. Sie deuteten in Zedds Richtung. Sie schwangen unverständliche, aber scheinbar tiefempfundene Reden.
Zedd beugte sich zu Ann und meinte leise: »Soweit ich weiß, sind die Si Doak ziemlich friedfertig. Mir ist nie zu Ohren gekommen, daß sie Krieg geführt hätten oder gewaltsam gegen ihre Nachbarn vorgegangen wären, nicht einmal gegen schwächere. Aber wenn es ums Feilschen geht, sind sie skrupellos. Die meisten Stämme in diesem Teil der Wildnis würden es vorziehen, mit einem Wolf zu verhandeln. Andere Stämme bringen ihrem Nachwuchs bei, wie man kämpft, die Si Doak jedoch das Feilschen.«
Ann schaute in die entgegengesetzte Richtung, so als interessiere sie das nicht. »Wie kommt es, daß sie darin so gut sind?«
Zedd sah kurz zu ihren Bewachern hoch. Sie verfolgten ausnahmslos die Verhandlungen und schenkten ihren hilflosen Gefangenen wenig Beachtung.
»Sie besitzen die seltene Fähigkeit, von einem Geschäft Abstand zu nehmen. Andere beschließen, daß sie etwas wollen und geben sich dann schon bald mit weniger zufrieden, nur um einig zu werden. Die Si Doak nicht. Sie gehen einfach fort. Wenn es nicht anders möglich ist, geben sie ihre Hoffnung ohne Bedauern auf und widmen sich etwas anderem.«
Einer der Si Doak, der mit einem Kaninchenfell auf dem Kopf, warf einen Stapel Decken in die Kreismitte. Er deutete auf eine kleine Ziegenherde und unterbreitete ein Angebot, das, soweit Zedd dies verstand, zwei der Tiere umfaßte.
Das Angebot schien die Nangtong zu erzürnen. Ihr Hauptunterhändler sprang auf und reckte wiederholt seinen Speer in die Luft, offenbar um seiner Empörung über den niedrigen Preis Ausdruck zu verleihen. Zedd
Weitere Kostenlose Bücher