Der Tempel der vier Winde - 8
in dem Leben voller Pflichten, für das sie geboren war.
»Ja oder nein?« fragte der Legat.
Kahlan sah auf. »Was?«
Er sah kurz zu den bedrohlichen Wolken hoch und holte hastig Luft. »Gelobst du, diesen Mann zu ehren, ihm als Herrscher deines Heims zu gehorchen, ihn zu umsorgen in guten wie in schlechten Zeiten und ihm in diesem Leben eine treue Frau zu sein, bis daß der Tod euch scheidet?«
Kahlan schaute zu Drefan auf. Sie fragte sich, was er gelobt hatte.
»Ich gelobe zu tun, was immer erforderlich ist, um die Pest zu beenden.«
»Ja oder nein?«
Kahlan ließ einen verärgerten Seufzer heraus. »Ist es das, was man von mir verlangt, um die Magie, die den Winden entwendet wurde, daran zu hindern, Menschen zu töten?«
»So ist es.«
Sie legte das Gelübde in Gedanken ab, aber für Richard, nicht für Drefan. Sie würde die Worte dieses Schwures laut für Drefan sprechen, aber ihr Herz würde immer Richard gehören. Kahlan ballte die Fäuste. »In diesem Falle, ja. Ich gelobe zu tun, was erforderlich ist, um die Pest aufzuhalten. Ich gelobe kein Jota mehr als das, was man von mir verlangt – und keinen Atemzug länger.«
»Dann seid ihr vor den Seelen und kraft der Seelen von nun an Mann und Frau.«
Plötzlich krümmte Kahlan sich vor Schmerzen. Es war, als hätte man ihr die Eingeweide zerrissen. Sie versuchte, Luft zu holen. Es ging nicht. Sie sah bunte Ringe vor ihren aufgerissenen Augen.
Drefan legte ihr den Arm um die Hüfte. »Was ist? Kahlan, was ist los?«
Ihre Beine gaben nach, aber er hielt sie aufrecht.
»Das sind die Seelen«, war die gemeinsame Stimme von dem Legaten und Cara zu vernehmen, »sie haben ihre Kraft gebunden. Sie wird in dieser Ehe leben wie jede andere mit einem Mann verheiratete Frau. Ihre Kraft hätte sie dabei nur behindert.«
»Das könnt Ihr nicht machen!« kreischte Richard. »Sie wird schutzlos sein! Ihr dürft sie nicht ihrer Kraft berauben!«
»Man hat sie nicht der Kraft beraubt, sondern sie verschlossen, damit sie für die Dauer des Gelübdes, das sie für ihren Gatten Drefan Rahl geleistet hat, keinen Gebrauch von ihr machen kann. Es ist vollbracht«, sprachen die beiden gemeinsam. »Und nun lege das Gelübde ab, oder du verlierst die Chance, den Winden zu helfen.«
Kahlan starrte zu Boden. Sie spürte den Sog der Leere, spürte die Leere zwischen ihrem Verstand und ihrer Kraft, während sie lauschte, wie Richard ähnliche Worte vorgesprochen wurden. Seine Antwort entging ihr, aber er mußte das gesagt haben, was verlangt wurde, denn der Legat verkündete feierlich, er und Nadine seien von nun an Mann und Frau.
Als Preis für den Pfad hatte man ihr nicht nur die Liebe genommen, sondern auch ihre Konfessorenkraft. Das plötzliche und tiefgreifende Gefühl des Verlustes umwölkte ihren Verstand mit einer Finsternis, die dunkler war als die soeben heraufziehende Nacht.
Drefan ergriff ihren Arm. »Hier, setz dich besser hin. Als Heiler sehe ich selbst bei diesem Licht, daß es dir nicht gutgeht.«
Kahlan ließ sich von ihm zu einer Bank führen und beim Hinsetzen helfen.
»Deiner Frau wird es bald wieder bessergehen«, meinte der Legat. Er blickte hinauf in den brodelnden Himmel. »Richard Rahl, Drefan Rahl, folgt mir.«
»Wohin gehen wir?« wollte Richard wissen.
»Wir bereiten euch darauf vor, die Ehe zu vollziehen.«
Kahlan hob unwillkürlich den Kopf. Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, daß Richard kurz davor stand, jeden Augenblick vor Wut zu explodieren. Er hatte seine Hand bereits am Schwert.
Drefan streichelte Kahlan mitfühlend über den Rücken. »Bald geht es dir wieder gut. Es wird sich alles finden. Sei unbesorgt, ich werde mich wie versprochen um dich kümmern.«
»Danke, Drefan«, brachte sie trotz ihrer Seelenqual hervor.
Drefan verließ sie und schlenderte zu Richard hinüber. Er packte Richards Arm, beugte sich vor und sprach leise auf ihn ein. Kahlan sah, wie Richard sich mit beiden Händen die Haare raufte und gelegentlich nickte. Was immer Drefan sagte, es schien ihn zu besänftigen.
Nachdem die beiden gegangen waren, drehten sich der Legat und Cara zu Nadine und Kahlan um. »Ihr beide wartet hier.«
Kahlan hockte zusammengesunken auf der steinernen Bank, während Richard und Drefan in der Dunkelheit zum Abgrund geführt wurden, zu den beiden Gebäuden rechts und links jener Straße, die am Abgrund unvermittelt endete. Inzwischen war es so dunkel geworden, daß Kahlan Nadines Gesicht kaum noch erkennen konnte, als diese
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