Der Tempel der vier Winde - 8
viel zu verdanken habe!«
Kahlan war nicht in der Stimmung, sich lange zu streiten. Sie war auch nicht in der Stimmung, der Frau den Anblick dessen, was sie zu Gesicht bekommen würde, zu ersparen.
Sie sah prüfend in Nadines braune Augen und versuchte herauszufinden, ob es stimmte, was Cara gesagt hatte, daß nämlich Nadine noch immer hinter Richard her war. Wenn, dann war es für Kahlan allein durch einen Blick nicht festzustellen.
»Ihr wollt den Mann sehen, der Richard und mich töten will?« Kahlan packte den Hebel und warf die Tür auf. »Also schön. Der Wunsch soll Euch erfüllt werden.«
Sie gab den Männern ein Zeichen, die daraufhin die Leiter durch die Türöffnung hinab in die Dunkelheit schoben, wo sie mit einem dumpfen Schlag landete. Kahlan riß eine Fackel aus einer Halterung und drückte sie Cara in die Hand.
»Dann wollen wir Nadine mal zeigen, worauf sie so erpicht ist.«
Cara überzeugte sich, daß Kahlans Entschlossenheit durch nichts zu erschüttern war, dann begann sie die Leiter hinabzusteigen.
Kahlan hielt ihr einladend den Arm hin. »Willkommen in meiner Welt, Nadine. Willkommen in Richards Welt.«
Nadines Entschlossenheit geriet nur für einen Moment ins Wanken, dann plusterte sie beleidigt die Wangen auf und stieg hinter Cara die Leiter hinab.
Kahlan drehte sich kurz zu den Wachen um. »Unterkommandant Collins, wenn der Gefangene vor uns durch diese Tür kommt, wäre es besser, wenn er diesen Gang nicht lebend verläßt. Er hat die Absicht, Richard umzubringen.«
»Auf mein Wort als d’Haranischer Soldat, Mutter Konfessor, kein Unheil wird auch nur einen flüchtigen Blick auf Lord Rahl werfen können.«
Ein Handzeichen von Unterkommandant Collins genügte, und die Soldaten zogen den Stahl blank. Bogenschützen legten Pfeile auf. Kräftige Hände hakten halbkreisförmige Streitäxte von Waffengürteln los.
Kahlan nickte dem Unterkommandanten anerkennend zu, nahm sich eine Fackel und machte sich daran, die Leiter hinabzuklettern.
9. Kapitel
Naßkalte, schwere Luft schlug Kahlan aus der Grube entgegen, als sie Nadine auf der Leiter nach unten folgte. Da sie die Hand mit der Fackel außerdem dazu benutzte, sich an der Leiterstange festzuhalten, blieb ihr nichts übrig, als die Hitze der Flamme neben ihrem Gesicht auszuhalten. Aber sie war fast dankbar für den Geruch des Pechs, denn er überdeckte den Gestank der Grubenluft. Weiter unter beleuchteten die Fackeln mit ihrem flackernden Licht die Steinmauern und die dunkle Gestalt in der Mitte des Raumes.
Kahlan stieg von der Leiter herunter. Cara rammte gerade ihre Fackel in eine Halterung an der feuchten Mauer. Kahlan stellte ihre Fackel in einen Halter an der Wand gegenüber. Nadine stand da wie gelähmt und betrachtete den gebeugten Mann, der über und über mit verkrustetem Blut bedeckt war.
Cara richtete den Blick auf Marlin und runzelte die Stirn.
Sein Kopf hing vornüber, und er hatte die Augen geschlossen. Sein Atem ging tief und langsam, gleichmäßig.
»Er schläft«, flüsterte Cara.
»Er schläft?« flüsterte Kahlan zurück. »Wie kann er schlafen, wenn er so dasteht?«
»Ich … weiß es nicht. Wir zwingen neue Gefangene immer zu stehen, manchmal tagelang. Wenn sie mit niemandem sprechen können und gezwungen sind, nur über ihr eigenes düsteres Schicksal nachzudenken, verlieren sie ihre Entschlossenheit – es nimmt ihnen geradezu jeden Kampfeswillen. Es ist eine heimtückische Form der Folter. Ich hatte Männer, die gebettelt haben, daß sie lieber geschlagen werden wollten, als Stunde um Stunde alleine stehen zu müssen.«
Marlin schnarchte leise. »Wie oft kommt es vor, daß sie – einfach einschlafen?«
Cara stemmte eine Hand in die Hüfte und wischte sich mit der anderen nachdenklich über den Mund.
»Es ist mir schon passiert, daß sie einschlafen, aber das weckt sie sicher auf. Wenn sie sich von der Stelle entfernen, auf der wir ihnen befohlen haben stehenzubleiben, löst die Verbindung den Schmerz aus. Wir brauchen gar nicht dabeizusein. Die Verbindung funktioniert, ganz gleich, wo wir uns befinden. Aber von einem Mann, der im Stehen eingeschlafen wäre, habe ich noch nie gehört.«
Kahlan warf einen Blick über die Schulter, vorbei an Nadine und die lange Leiter hinauf zu dem Licht, das durch die Tür hereinfiel. Sie konnte die Köpfe der Soldaten erkennen, doch keiner von ihnen hatte den Mumm, hinunter in die Grube zu blicken. Schließlich gingen dort womöglich magische
Weitere Kostenlose Bücher