Der Tempel zu Jerusalem
Und paßt auf, daß es keinen Schaden
nimmt.»
Salomo befahl
einem Trupp Soldaten, die zu seiner Leibwache gehörten, auf der Baustelle zu
bleiben. Kein Soldat durfte ihn begleiten, denn er, er allein, mußte den
Baumeister zurückholen.
Er wanderte
den Fluß entlang und gelangte zu einer Mauer aus Schilfrohr. Er wußte, daß der
Tod von Menschen, für die er zu sorgen hatte, Meister Hiram schwer getroffen
und er sich in die fernste Einöde geflüchtet hatte. Salomo schob den Vorhang
aus Pflanzen beiseite und wagte sich in eine feindselige Welt, wo sich kleine
Fleischfresser um Vogelnester stritten. Etliche geknickte Stengel zeigten dem
Herrscher, daß der Oberbaumeister genau diesen Weg eingeschlagen hatte. Als
Jüngling hatte der König an diesen abgeschiedenen Orten gejagt und von Weisheit
geträumt.
Als er auf
einem Hügel aus roter Erde stand, der sich über dem Hibiskus-See erhob, einer
kleinen Wasserfläche, gesäumt von duftenden Pflanzen, da erblickte Salomo
Hiram. Er war nackt und wusch sich mit Natron.
Der König
ließ die Halme knistern. Hiram hob den Kopf, bemerkte den Eindringling, ließ
jedoch nicht von seinem Tun ab. Nachdem er sich gewaschen hatte, zog er die
weiß-rote Tunika an, dann setzte er sich an den Teichrand. Salomo gesellte sich
zu ihm und nahm neben ihm Platz.
«Ein
gewaltiger Sieg, Meister Hiram. Das eherne Meer ist ein Wunder.»
«Meine
schlimmste Niederlage. Durch meine Schuld sind Menschen gestorben.»
«Du irrst.
Ich bin überzeugt, daß sich jemand daran zu schaffen gemacht hat. Wir werden es
beweisen und die Schuldigen bestrafen.»
«Ich hätte es
voraussehen und eine Falle stellen müssen.»
«Du bist auch
nur ein Mensch. Warum nimmst du alles Mißgeschick auf dich?»
«Diese
Baustelle war meine. Das Unglück ist meine Schuld.»
«Du bildest
dir zuviel ein. Ist dein Meisterwerk nicht Wirklichkeit geworden?»
«Der Preis
ist zu hoch. Kein Werk ist den Verlust von Menschen wert. Ich habe diese Männer
geliebt. Sie sind meine Brüder gewesen. In meinen eigenen Augen bin ich für
immer unwürdig geworden. Das eherne Meer macht mich unrein, und diesen Fleck
kann nichts mehr tilgen.»
«In meinen
Augen hast du das angestrebte Ziel erreicht. Du hast dir nichts vorzuwerfen.
Aber du hättest mich nicht belügen sollen.»
Der
Baumeister wandte ihm kurz den Kopf zu.
«Du bist
beschnitten», fuhr Salomo fort. «Wenn du Hebräer wärst, wäre dies das sichtbare
Zeichen des Bundes mit Gott. Tyrer sind nicht beschnitten. Und du bist weder
Tyrer noch Hebräer. Mit Ausnahme meines Volkes praktizieren diesen heiligen
Ritus nur Ägypter von hohem Rang. Du hast mir deine Herkunft verschwiegen. Wie
kann ich jemals zugeben, daß ein Ägypter Jahwes Tempel erbaut hat? Ich müßte
dich eigenhändig töten. Hast du in die Mauern des Heiligtums etwa heimlich
etwas Heidnisches eingebaut, das ihn entweiht?»
«Und wer
strebt nach Weisheit, Majestät? Dann solltest du wissen, daß sie das verborgene
Licht im Herzen ägyptischer Tempel ist. Ich bin in jenem Land von den
Nachfahren der Pyramidenerbauer unterwiesen worden. Sie haben meinen Geist
geformt. Amun oder Jahwe… die Namen des Einen unterscheiden sich, Er aber
bleibt. Weisheit ist Licht, nicht Lehre. Nichts kann sie trüben. Wer sie bei
Beginn der Morgenröte vor seiner Tür sitzend verehrt, wird sie vielleicht am
Abend finden. Hoffentlich hat mir Gott erlaubt, den Lehren der Vorfahren treu
zu bleiben und dich trotzdem nicht zu verraten.»
«Weisheit ist
mir lieber als Zepter und Thron», sagte Salomo. «Sie ist mir lieber als
Reichtum. Mit ihr kann sich kein Schatz der Welt vergleichen. Alles Gold von
Saba ist vor ihr nur ein Sandkorn. Sie ist mir lieber als Schönheit und
Gesundheit, denn sie ist es, die mich regieren gelehrt, mir die Gesetze der
Welt, das versiegelte Wesen der Elemente, die Sprache der Sterne, die Kraft des
Geistes und die Eigenschaften der Pflanzen erschlossen hat. Aber sie ist nicht
greifbar, verflüchtigt sich in die Ferne… Hast du sie in den Steinen des
Tempels eingefangen, Meister Hiram? Wie konnte ich nur einen Ägypter die
Arbeiter meines Königreiches befehligen lassen? Ist das nicht der Fehler eines
schlechten Königs?»
«Ich habe
weder dein Volk noch dein Land gekannt, aber ich habe beides lieben gelernt.»
«Und bist
dennoch Ägypter geblieben.»
«Was trennt
uns denn, Majestät?»
«Das
Ereignis, das bei der Weihung des Tempels gefeiert wird: der Auszug der Hebräer
aus Ägypten, die Erlösung
Weitere Kostenlose Bücher