Der Tempel zu Jerusalem
meines Volkes aus dem Joch deines Volkes.»
«Du weißt
genausogut wie ich, daß es sich nicht so abgespielt hat, wie du es jetzt
darstellst. Die Hebräer haben in Ägypten Ziegel hergestellt und sind für ihre
Arbeit entlohnt worden. Niemand hat sie versklavt, denn Sklaverei hat es in
Ägypten nie gegeben. Sie ist gegen das Gesetz des Kosmos, dessen Sohn und Bürge
vor seinen Untertanen der Pharao ist. Moses hat bei Hofe eine hohe Stellung
gehabt. Wenn er Ägypten verlassen hat, um Israel zu gründen, so hat er das mit
Zustimmung des Pharaos getan, dem er gedient hat.»
«Dieses
Geheimnis, Meister Hiram, dürfen weder du noch ich preisgeben. Niemand ist
bereit, sich das anzuhören. Das Gedächtnis meines Volkes nährt sich von der
Erzählung, wie sie in unserem heiligen Buch steht. Sie ist Grundlage unserer
Geschichte, und es ist zu spät, daran etwas zu ändern.»
«Ich glaube
dir nicht, Majestät. Durch den auf dem Felsen von Jerusalem errichteten Tempel
willst du einen neuen Bund zwischen Gott und Israel schließen, der ein neues
Bündnis zwischen Ägypten und Israel erfordert. Uneinig haben weder der eine
noch der andere Frieden.»
Hiram las in
Salomos Seele, Salomo in Hirams. Das gestanden sie sich jedoch nicht ein, denn
sie fürchteten, damit das magische Band zu zerreißen, das sie verband.
Salomo wußte,
daß sich der Oberbaumeister den Tod seiner Arbeiter nicht verzeihen würde, und
Hiram wußte, daß der König ihm immer vorwerfen würde, er hätte ihm seine
ägyptische Herkunft verborgen. Doch das Geheimnis, das sie teilten, machte sie
im Geist zu Brüdern.
«Der Tempel
ist der Sitz Gottes», fuhr Hiram fort. «Und nur der König schenkt ihm Leben. Du
bist der einzige Mittler zwischen deinem Volk und Jahwe. Der einzige,
Majestät.»
Kapitel 44
Nach
Salomos Aufbruch kehrte Hiram auf die
Baustelle zurück. Er hatte dem König versprochen, den Tempel nicht zu
verlassen, über die wohlbehaltene Aufstellung des ehernen Meeres zu wachen und
den Vorhof fertigzustellen. Doch gleichzeitig hatte er gefordert, daß er drei
Tage und drei Nächte lang allein in der Wüste bleiben durfte. Er mußte sich
einfach von allen Menschen entfernen und in sich zu einer neuen Klarheit
finden.
Der Oberbaumeister
begegnete Scharen von Klippschliefern, einer Art Murmeltiere, die beim
kleinsten Geräusch davonstoben. Er hörte die Hyänen lachen und die Schakale
heulen. Er sah Füchse und Wildschweine, ließ sich von einer heißen Sonne
durchwärmen, wanderte über ockergelben Sand und schlief im Schutz von Felsen,
die von der Hand desjenigen vergessen worden waren, der die Wüste geknetet
hatte. Denn wer war diese Gegenwart, wenn nicht der Schöpfer?
Hiram liebte
die Sprache der Steine, das von der Sonne verdorrte Nichts, dieses Gegen-Land,
das auf Fruchtbarkeit verzichtet hatte, damit es die unsichtbare Vollkommenheit
Seines Wesens besser empfangen konnte.
Der Wüste
entging nichts. Der Oberbaumeister bot ihr den Tod seiner Arbeitsgefährten dar.
Er begrub ihr Andenken in der Heiligkeit des rötlichen Abends, vertraute ihre
Seelen dem Geist des Windes an, der sie zu den Enden des Universums in der Nähe
der Quelle tragen würde, wo die Finsternis noch nicht geboren war.
Als Hiram
wieder in Richtung Jordan ging, sah er ein rotweißes Zelt, das auf einer
steinigen Anhöhe stand.
Er begriff
sofort. Die Stunde war gekommen. Die Freude, die er hätte empfinden sollen,
zerriß ihm das Herz.
Hiram betrat
das Zelt. In seinem Inneren saß ein wie ein Beduine gekleideter Nomade in
Schreiberhaltung. Nach dem kurzen Spitzbart mochte er Semit sein. Er war an die
fünfzig Jahre alt, hatte einen durchdringenden Blick und bot dem Ankömmling
einen Becher frisches Wasser mit einem Spritzer Essig an.
«Sei deinem
Gastgeber willkommen. Erlaube ihm, dir Unterkunft zu geben, bis das Salz, das
du ißt, deinen Magen wieder verlassen hat.»
Hiram nahm
das Salz der Erde entgegen, das ihm auf einem Alabasterteller gereicht wurde.
«Wie hast du
mich in dieser Wüste gefunden?»
«Ich
durchkämme die Gegend seit einem Monat. Man hat deine Ankunft in den Gießereien
gemeldet. Von den Hügeln habe ich der Geburt deines Meisterwerks beigewohnt und
habe dich nicht mehr aus den Augen gelassen. Von fern habe ich dein Treffen mit
Salomo gesehen. Alsdann bin ich dir gefolgt, denn ich habe erwartet, daß du
dich zurückziehst. Ehe du wieder in die Welt gehst, muß ich mit dir sprechen.»
«Mehr als
sieben Jahre nach meinem Aufbruch
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