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Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Nacht.»
     
     
    Hiram blieb bis zum
Morgengrauen am Fuße des Felsens. Falls er sich gegenüber seinesgleichen auf
eine Weigerung Salomos berief, um seine Rückkehr nach Ägypten zu rechtfertigen,
niemand würde sein Wort anzweifeln. Doch durfte ein Oberbaumeister lügen, ohne
sich damit vor seinen eigenen Augen zu zerstören?
    Als Hiram den
Felsen mit den Fingerspitzen geprüft hatte, da hatte er gespürt, daß hier einer
jener außergewöhnlichen Orte war, wo das Göttliche in der Materie Gestalt
annahm. Salomo hatte gut gewählt. Hier und nirgendwo anders mußte sich ein
großer Tempel erheben. Der König besaß den Willen, das Unglück zu besiegen und
die Vision des Menschen im Ewigen festzumachen. Daß das zukünftige Heiligtum
Salomos Bestimmung war, daran zweifelte Hiram nicht länger. Doch rechtfertigte
das sein eigenes Elend, eine Verbannung, die genauso schlimm war wie ein Todesurteil?
    Mit schwerem
Herzen richtete er den Schritt zu seiner Wohnung, schlug verlassene Gassen ein,
in denen die letzten Schatten mit dem anbrechenden Tag kämpften. Anup lief an
seiner Seite.
    Hiram trat
ein. Im Haus roch es stark nach Weihrauch und Olivenöl. Mehrere Lampen brannten
in den Zimmern. Ein Dutzend Priester lag auf den Knien und betete. Als einer
Hiram erblickte, stand er auf.
    «Ich bin
Zadok, der Hohepriester Jahwes», erklärte er mit Nachdruck. «Bist du Meister
Hiram?»
    Der Baumeister trat näher.
Das Innere des Hauses war verwüstet, der Fußboden aufgerissen, der Schreibtisch
geplündert. Die Wände waren weiß gestrichen, die Truhen geleert, die Betten
zertrümmert.
    «Dieser Ort
mußte gereinigt werden», meinte Zadok. «Hier hausten böse Geister. Von nun an
darf hier nur noch ein wahrer Gläubiger wohnen.»
    Der
Hohepriester warf sich innerlich jubilierend in die Brust. Sein schwarzer,
nicht gestutzter Bart machte sein Gesicht streng wie das eines Richters im
Jenseits. Doch die allzu funkelnden Augen verrieten das Fieber eines Neiders,
eines Rachedurstigen.
    «Komm niemals
hierher zurück, Meister Hiram. Und rechne nicht damit, in Jerusalem eine andere
Wohnung zu finden. Du hast schwarze Magie betrieben. Dafür haben wir Beweise.»
    Mit einer Handbewegung
rief er einen seiner Helfer herbei. Dieser brachte eine Figurine aus gebranntem
Lehm, eine Frau mit nackten Brüsten und gewaltigen Hüften.
    «Dieses
Götzenbild war in deinem Schreibbinsen versteckt. Wenn Salomo dich nicht
schützen würde, hätte ich deine Steinigung gefordert.»
    «Was ist mit
meinem Diener Kaleb?»
    «In dieser
Dämonenhöhle war kein Mensch.»
    Mit einem
einzigen Blick sah Hiram, daß seine wenigen Habseligkeiten zertrümmert waren.
Er ging zur Tür, während Zadok spöttisch hinter ihm hersah. Doch ehe er das
verwüstete Haus für immer verließ, drehte er sich noch einmal um.
    «Sei
beruhigt, Hoherpriester, ich werde nie mehr in dieser verhaßten Stadt wohnen.
Aber unterstehe dich, mich erneut der Zauberei zu beschuldigen, denn diese Lüge
wird sich gegen dich verkehren.»
    Zadok machte
sich nichts aus dieser Warnung. Sein Sieg war vollkommen. Hiram ging, der
Tempel würde niemals gebaut werden. Jedermann wußte, daß Jahwe fremdländische
Oberbaumeister ausstieß und daß er keine Veränderung der Stadt Davids wünschte.
     
     
    Besorgt befragte Salomo die
geheimen Bücher, deren einziger Verwahrer er als König von Israel war. Sie
lehrten, wie der Mensch den himmlischen Thron erlangen könne, falls er den Weg
des Lebens und nicht den des Todes einschlüge. Sie sprachen von der Seele, von
Gott und den Elementen. Doch sie antworteten nicht auf die bange Frage, die ihn
schon tagelang umtrieb: War es Meister Hiram wirklich zuzutrauen, daß er den
Tempel baute? Dieser Mann zog ihn unwiderstehlich an, aber verstellte ihm das
nicht den Blick auf die Wirklichkeit? War der Fremdling nicht doch ein
Herumtreiber, ein Aufrührer, der sich mit einer in Wahrheit unbekannten
Wissenschaft brüstete?
    Nie im Leben
hatte sich der König mit so schlimmen Ängsten plagen müssen.
    Als Nagsara
sich in die Bibliothek wagte, wo er über Papyrusrollen brütete, die mit
Schriftzeichen beschrieben waren, die kein Uneingeweihter lesen konnte, da war
seine erste Reaktion, sie heftig zurückzustoßen. Doch die mit einem
durchsichtigen Schleierstoff fast nackte Königin hatte sich verlockend
zurechtgemacht.
    «Weißt du,
liebe Gemahlin, denn nicht, daß an diesem Ort der Zutritt verboten ist?»
    Um Nagsaras
rote Lippen huschte ein fiebriges Lächeln. Sie

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