Der Tempel zu Jerusalem
vorübergehenden Verbannung litt,
schloß sich Hiram einem ägyptischen Oberbaumeister an, den die Königin von Saba
angestellt hatte. Der hatte Hiram auf dem Gipfel eines Goldberges in die Kunst
des Bauzeichnens eingeführt.
Mit Hilfe
eines spitzen Steins grub Hiram die Erde um.
Langsame,
genaue, fachkundige Handbewegungen. Der Becher und das Goldzepter tauchten aus
der lockeren Erde auf, wo sie Hiram vorsichtshalber vergraben hatte, ehe er
sich in Jerusalem niederließ. Wie hätte er Salomo gestehen können, daß die
erste Königin von Saba diese Symbole dem Pharao Cheops beim Bau der großen
Pyramide geschenkt hatte? Die Herrscherin, die wie der Pharao die Sonne
anbetete, hatte es für geraten gehalten, mittels dieses Zaubers an dem
Weltwunder teilzuhaben. Zudem hatte sie eine Pilgerreise nach Memphis
unternommen und hatte an einem Winterabend, als der Polarstern umgeben von
seinem Hof unermüdlicher Sterne am Himmel funkelte, im unteren Raum der großen
Pyramide das Zepter von Saba abgelegt und unter der Sphinx einen Becher mit dem
Morgentau des ersten Weltmorgens abgestellt.
Diese
Gegenstände hatte Pharao Siamun Hiram vor dessen Aufbruch aus Ägypten nach
Israel gegeben, denn die sollte der Oberbaumeister in die Fundamente von
Salomos Tempel einbauen, damit sich dieser auf uralter Weisheit erhob.
Salomo hatte
angenommen.
Falls Hiram
diesen Ritus vollzog, falls er damit den Tempel ins Leben rief, konnte er das
Werk nicht mehr verlassen. Ein Baumeister, der ein Heiligtum erbaute, weihte
ihm sein Leben.
Hiram hatte
alles versucht, um Salomos Zorn zu erregen. Israels König war bei seiner Wahl
geblieben. Wie der Oberbaumeister folgte er der Stimme seines Herzens und blieb
nicht vor scheinbar unüberwindbaren Hindernissen stehen.
Falls Hiram
Salomos Oberbaumeister werden wollte, falls er das Amt übernehmen würde, das
Pharao Siamun ihm anvertraut hatte, würde er der einsamste aller Menschen sein.
Denn wen könnte er um Rat fragen, wem könnte er seine Zweifel und Fragen
anvertrauen? Die Baumeister von Karnak waren in weiter Ferne, in der
strahlenden Gelassenheit des Tempels in Oberägypten. Und da Hiram gezwungen
war, das Geheimnis seiner Herkunft zu wahren, seinen wahren Namen zu
verschweigen, die Härte der Verbannung zu ertragen, wie sollte er jahrelang
unter solch einer Last leben? Auf diese Tragödie hatte man ihn nicht
vorbereitet, denn er war in einer Gemeinschaft von Priestern ausgebildet und in
seinen Beruf durch eine zuweilen rauhe Bruderschaft eingeführt worden, die über
die alltäglichen Aufgaben im Haus des Lebens wachte. Auch auf diese Freuden
mußte er verzichten. Hiram würde eine große Schar hebräischer Arbeiter
befehligen, durfte jedoch mit niemandem Freundschaft schließen.
Da saß er nun
im Schein einer milden Herbstsonne unter einem Feigenbaum in der Stille der
judäischen Landschaft und hätte am liebsten aufgegeben.
Die Kluft
zwischen der Zukunft eines ägyptischen Oberbaumeisters, dem ein beschauliches
Alter winkte, und der eines Baumeisters für Salomo, der vor einer unmöglichen,
offenen Frage stand, war einfach zu groß. Wie konnte er auf die Schönheit der
schwarzen und fruchtbaren Erde am Nilufer verzichten, auf die erregende Wüste,
auf den geliebten Nordwind?
Hatte er sein
Ziel nicht erreicht, war er nicht einer der Baumeister des Pharaos, ein
Arbeiter an der Seite seiner Brüder in der Harmonie im Haus des Lebens
geworden, hatte er nicht Tag für Tag Steine für die Ewigkeit verschönt, denen
die Leiden der Menschen einerlei waren? Kein anderer Ehrgeiz wohnte in seiner
Brust. Warum zwangen ihn die Götter, auf Glück zu verzichten, dem König eines
fremden Landes zu dienen und ein Heiligtum zu Ehren einer Gottheit zu bauen,
die sein Herz nicht anrührte?
Wer aufgab,
mußte sich seine Schwäche eingestehen. Wenn er Ägypten wiedersehen, erneut die
Brise spüren wollte, die die Segel der Schiffe blähte, dann erforderte das ein
Opfer. Hiram spürte, daß er nicht bereit war, diese Schande vor seinen Brüdern
einzugestehen.
Vor Salomo
wollte er auch nicht so dastehen.
Nachdem er
dem König getrotzt, ja, ihn fast verabscheut hatte, teilte Hiram mittlerweile
seine Leidenschaft. Wie er war auch Salomo allein. Allein trotzte er einem
ganzen Volk, der Priesterkaste, den Höflingen, den Bräuchen. Allein wollte er
ein Meisterwerk erschaffen, auch wenn es ihn den Thron kostete.
Salomo war
der letzte, dem sich Hiram anvertrauen konnte, doch er verkörperte diesen
feurigen
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