Der Tempel zu Jerusalem
ihm den Rücken deckte, kam zu seinem
Herrn gelaufen. Als er Kaleb erblickte, knurrte er.
«Schon wieder
dieses vermaledeite Hundevieh… Wohin willst du jetzt, mein Fürst?»
Hiram ging an
der Schäferei vorbei, stieg einen grasbewachsenen Hang hinunter, der in ein
verlassenes Feld überging, auf dem dichtbelaubte Feigenbäume standen. Sie boten
eine Fülle von Herbstfeigen mit süßem Fleisch. Die Bäume hier waren nicht zu
Sonnenschirmform gestutzt worden, sondern hatten sich nach Lust und Laune in
Freiheit entwickeln können.
Der
Oberbaumeister setzte sich in den Schatten eines alten, alleinstehenden
Feigenbaums. Anup legte sich zu seinen Füßen. Und hier, im Schutz des Baums mit
den breitesten Ästen auf Israels Boden, kam Hiram zu einem Entschluß. Unweit
des Tempels von Karnak hatte er unter dem Laub einer Sykomore oder einer
Tamarinde am Rand der Wüste Stunden in innerer Versenkung verbracht. In der
Stille ertranken die Gedanken, und die Träume verloren sich im Licht. Als Kind
war Hiram bis in den Wipfel geklettert und hatte den Bauern zugesehen, wie sie
ihre bepackten Esel antrieben. Sie zogen die rote Erde entlang, ehe sie
bebautes Land erreichten, und stimmten ein uraltes Lied an, das noch aus der
Zeit des Pyramidenbaus stammte. Als er eine Bruderschaft von Schreibern mit
Schreibbinsen und Paletten erblickt hatte, da hatte der kleine Hiram Lust
darauf bekommen, alles zu verstehen und alles zu wissen. Und das Wissen hatte
ihn weit mehr berauscht als das Bier an Festtagen. Unaufhörlich hatte er seinen
Eltern mit Fragen nach den Merkmalen von Tieren, Pflanzen, nach dem Hochwasser
des Nils, nach der Stärke des Windes zugesetzt und wie man Hieroglyphen las. An
dem Tag, als er merkte, daß sie ihm keine Antworten mehr geben konnten, hatte
der Vierzehnjährige sein Dorf mit einem Bündel auf dem Rücken verlassen. Es
gelang ihm, auf einem Frachtschiff anzuheuern, und so kam er nach Theben. Sein
Ziel: Der Ort der Weisheit, der Tempel, in den die Schreiber gingen.
Doch er hatte
rasch klein beigegeben. Der große Hof war an Festtagen zwar für Edelleute
zugänglich, doch die Lehrsäle im Tempelinneren blieben ihm verschlossen.
Hiram hatte
die Stadt verlassen und lange im mageren Schatten einer Tamarinde nachgedacht
und hatte den Sonnenaufgang, die Farben des Tages und den Sonnenuntergang mit
seinen Goldfarben erlebt und dabei seine Lebensregel aufgestellt: Er wollte
seine Wünsche bis zum Ende ausleben, nie unter irgendeinem Vorwand aufstecken
und sich selbst die Schuld geben, falls er scheiterte, nicht etwa anderen oder
den Verhältnissen. Mit dieser Wegzehrung gewappnet, hatte er zwanzig Berufe
ausgeübt, war Gemüsehändler, Sandalenschuster, Fischsortierer und Töpfer
gewesen, ehe er einem Lehrmeister der berittenen Truppe auffiel. Nachdem er
Pferde gestriegelt hatte, hatte er reiten und einen Streitwagen fahren gelernt.
Dann mußte er wählen, entweder er wurde Soldat oder Schreiber.
Er staunte
selbst über sein Zögern. Was war schöner und aufregender als das Soldatenleben,
und bot es nicht Ruhm und Reichtum? Nachdem er wieder einmal unter einer
Tamarinde angesichts der Wüste, auf der die ewigen Wohnungen emporragten,
nachgedacht hatte, war Hiram in den Tempel eingetreten. In seinen Augen war
dieses riesenhafte und geheimnisvolle Wesen aus Stein das Leben schlechthin.
Nun folgte die glücklichste
Zeit seines Lebens, in der er von strengen, anspruchsvollen, aber mit jenem
Wissen ausgerüsteten Lehrern unterrichtet wurde, nach dem Hiram seit langem
dürstete. Lernen war das köstlichste Vergnügen, Arbeiten eine Leidenschaft,
Entdecken eine grenzenlose Freude. Der junge Schreiber wandte sich der Baukunst
zu. Er konnte mit allen Werkzeugen umgehen, vom Dechsel des Schreiners bis zum
Stechbeitel des Steinhauers, er wußte um die Bruderschaft auf der Baustelle, wo
Kopf- und Handarbeit eins waren, machte sich mit dem Wesen des Steins vertraut,
zähmte Granit, Sandstein, Alabaster und Kalkstein, ehe er mit einer einzigen
Berührung der Hand die Blöcke auswählen konnte, die würdig waren, zu einem
Gebäude verbaut zu werden.
Dann folgten
Reisen in Ägypten und in die Fremde und Begegnungen mit anderen Baumeistern,
anderen Techniken, anderen Glaubensbekenntnissen. Hiram schwieg und hörte zu.
Während dieser Zeit hatte er sich auch in Saba aufgehalten, wo der ägyptische
Einfluß zwar stark war, jedoch nicht zu einer Überfremdung geführt hatte. Fern
seiner Heimat und weil er sogar unter dieser
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