Der Tempel
andere Weise bezahlen sollte, nämlich mit seinen beträchtlichen Talenten.«
»Wie?«
»Bassario beglich seine Schulden bei ihnen, indem er sein brillantes Können als Steinmetz dazu benutzte, Fälschungen von berühmten Statuen und wertvollen Schätzen anzufertigen. Smaragd oder Gold, Silber oder Jade, gleich, was es war, Bassario konnte sogar das komplizierteste Kunstwerk nachmachen.
Sobald er eine berühmte Statue kopiert hatte, brachen seine schändlichen Kumpane in das Haus des Besitzers des echten Kunstschatzes ein und ersetzten es durch Bassarios Fälschung.
Fast ein Jahr lang war dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt und die Verbrecher profitierten gewaltig davon, bis Bassarios ›Freunde‹ eines Tages im Haus des Vetters des Sapa Inka ertappt wurden. Sie waren gerade dabei, ein echtes Götzenbild gegen ein falsches auszutauschen.
Bassarios Rolle kam bald ans Licht. Er wurde ins Gefängnis geworfen und seine ganze Familie fiel in Ungnade. Sein Vater verlor seinen Posten als königlicher Steinmetz sowie seine sämtlichen Titel. Mein Bruder, der Sapa Inka, verkündete, dass Bassarios Familie aus ihrem Haus im königlichen Viertel ausziehen müsse und sich in eines von Cuscos rohesten Armutsvierteln zu begeben habe.«
Ich nahm dies alles schweigend zur Kenntnis.
»Ich hielt die Strafe für zu hart«, fuhr Renco fort, »und sagte dies meinem Bruder, aber er wollte an Bassario ein Exempel statuieren und beachtete meine Bitten nicht.«
Renco blickte zu Bassario hinüber, der weiterhin im Korridor der Zitadelle arbeitete.
»Bassario war einmal ein sehr edler, junger Mann. Gewiss hatte er Fehler, aber im Wesentlichen war er edel. Als ich die Pflicht auferlegt bekam, das Götzenbild aus Coricancha zu retten, entschloss ich mich deswegen, seine Talente zu nutzen, sodass sie mir bei meiner Aufgabe helfen würden. Ich fand, wenn die kriminellen Elemente Cuscos seine Fähigkeiten zu ihren Zwecken nutzen konnten, konnte ich dies auf meiner Mission zur Rettung des ›Geistes des Volkes‹ ebenfalls tun.«
Schließlich vollendete Bassario seine Kopie des Götzenbildes.
Anschließend brachte er es zusammen mit dem echten zu Renco.
Renco hielt beide Götzenbilder vor sich. Ich blickte ihm über die Schulter – und wahrlich, Bassarios Geschick war so groß, dass ich nicht zu entscheiden vermochte, welches das echte und welches das falsche Idol war.
Bassario zog sich in seine Ecke der Zitadelle zurück und sammelte seine Sachen zusammen – das Schwert, den Köcher, den Langbogen.
»Wohin willst du?«, fragte Renco, als er ihn aufstehen sah.
»Ich verlasse dich«, erwiderte Bassario schlicht.
»Aber ich benötige deine Hilfe«, sagte Renco. »Vilcafor sagt, dass sie einen großen Felsbrocken vom Eingang des Tempels entfernen mussten und dazu zehn Männer brauchten. Ich werde ebenso viele benötigen, wenn ich ihn wieder zurückwälzen will. Du musst mir helfen.«
» Ich habe das Gefühl, dass ich mehr als genug für deine Sache getan habe, edler Prinz«, erwiderte Bassario. »Die Flucht aus Cusco, die Überquerung der Berge, die blinde Jagd durch die gefährlichen Wälder. Und die ganze Zeit über habe ich an deinem Götzenbild gearbeitet. Nein, ich habe meinen Anteil geleistet und jetzt gehe ich.«
»Verspürst du gar keine Loyalität deinem Volk gegenüber?«
»Mein Volk hat mich ins Gefängnis gesteckt, Renco«, gab Bassario hart zurück. »Dann hat es meine Familie für mein Verbrechen bestraft – sie in das schmutzigste, raueste Viertel Cuscos verbannt. Meine Schwester wurde dort geschändet, mein Vater und meine Mutter wurden zusammengeschlagen und ausgeraubt. Die Räuber haben meinem Vater sogar die Finger gebrochen, sodass er keinen Stein mehr schneiden konnte. Er musste betteln gehen – um Abfälle betteln, damit er seine Familie ernähren konnte. Ich hege keinen Groll über meine Bestrafung, nein, überhaupt nicht. Aber ich empfinde keinerlei Loyalität einer Gesellschaft gegenüber, die meine Familie für ein Verbrechen bestrafte, das allein das meine war, nur das meine.«
»Das tut mir Leid«, entgegnete Renco leise. »Von all dem habe ich nichts gewusst. Aber bitte, Bassario, das Götzenbild, der ›Geist des Volkes‹ …«
» Es ist deine Sache, Renco. Nicht meine. Ich habe genug für dich getan, mehr als genug. Ich denke, ich habe mir meine Freiheit verdient. Folge du deinem Schicksal und gestatte mir, dem meinen zu folgen.«
Mit diesen scharfen Worten schulterte Bassario seinen
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