Der Tempel
entfernt, der Brocken senkte sich zu rasch. In wenigen Augenblicken wären wir innerhalb des Kerkers eingeschlossen, säßen in der Falle, der Gnade meiner blutdürstigen Landsleute ausgeliefert, die genau in diesem Moment auf das Netzwerk aus Steinbrücken hinter uns hinausliefen und dabei ihre Musketen abfeuerten.
Nichts konnte uns jetzt noch retten.
Renco sah das offensichtlich nicht so.
Ungeachtet der brüllenden Angreifer hinter uns blickte sich der junge Prinz rasch um und entdeckte den spitzen, stählernen Helm des spanischen Soldaten, der in die Grube gestürzt war.
Er bückte sich nach dem Helm, ergriff ihn, wandte sich um und schleuderte ihn flach über den staubigen Boden des Kerkers. Der Helm schlitterte auf den sich rasch schließenden Eingang zu, wobei seine silbrige Spitze im Feuerschein glitzerte.
Der Felsbrocken sank weiterhin knirschend in die steinerne Öffnung hinab.
Drei Fuß.
Zwei Fuß.
Ein Fuß.
In diesem Augenblick glitt der Helm auf die Türschwelle, verkeilte sich zwischen dem herabsinkenden Brocken und dem schmutzigen Fußboden und brachte den Stein zum Stillstand! Jetzt balancierte der Fels gerade einen Fuß über dem Boden auf der stählernen Spitze des Helms!
Erstaunt sah ich Renco an.
»Wie hast du das hinbekommen?«, fragte ich.
»Frag nicht so viel«, erwiderte er. »Los!«
Wir rannten gemeinsam von der Brücke und jagten auf den fast geschlossenen Eingang zu, wo Bassario stand und uns erwartete. In einer dunklen Ecke meines Bewusstseins wunderte ich mich darüber, dass Bassario nicht einfach davongelaufen war, während Renco mit meiner Rettung beschäftigt gewesen war. Vielleicht glaubte er, eine bessere Überlebenschance zu haben, wenn er bei Renco blieb. Oder es gab einen anderen Grund …
Erschreckend lautes Musketenfeuer ertönte. Renco ließ sich auf das Hinterteil fallen und glitt mit den Füßen voran durch den schmalen Spalt zwischen dem Felsbrocken und dem Fußboden. Ich selbst schob mich etwas weniger anmutig hinterher. Zunächst legte ich den Kopf auf den staubbedeckten Boden, wand mich dann unbeholfen auf der Brust durch den Spalt und kam in einem von Steinmauern begrenzten Tunnel auf der anderen Seite heraus.
Gerade erhob ich mich, da trat Renco den Helm unter dem Felsbrocken los und der große, rechteckige Stein vollendete seinen Weg und versiegelte die Türschwelle mit einem lauten Bumm.
Außer Atem seufzte ich auf.
Wir waren in Sicherheit. Für den Augenblick jedenfalls.
»Kommt, wir müssen uns beeilen«, sagte Renco. »Es ist an der Zeit, dass wir dieser unseligen Stadt Lebewohl sagen.«
Zurück in den Gassen, Hals über Kopf davonlaufend, Renco voraus, Bassario hinter ihm und ich als Letzter.
Irgendwann während unserer Flucht kamen wir an einem Haufen spanischer Waffen vorüber. Bassario nahm einen Langbogen und einen Köcher voller Pfeile, Renco einen Köcher, einen Ranzen aus rauem Leder – in den er das Götzenbild legte – sowie ein Schwert. Ich meinerseits ergriff einen langen, glitzernden Degen. Denn auch wenn ich vielleicht ein bescheidener Mönch sein mag, so entstamme ich doch einer Familie, die einige der besten Fechter Europas hervorgebracht hat.
»Hier entlang«, sagte Renco und jagte eine steinerne Treppenflucht hinauf.
Wir erreichten eine Reihe unebener Dächer. Renco hastete über die Dächer hinweg, übersprang niedrige Trennmauern, setzte über die schmalen Spalten zwischen den verschiedenen Gebäuden.
Bassario und ich folgten, bis Renco sich schließlich hinter einer niedrigen Mauer zu Boden fallen ließ. Sein Brustkasten hob und senkte sich rasch beim Atmen.
Er blickte über die niedrige Mauer hinweg und ich tat es ihm gleich. Ich sah einen weiten, kopfsteingepflasterten Platz, darauf vielleicht zwei Dutzend spanische Soldaten und ebenso viele Pferde. Einige der Pferde waren nicht angebunden, während andere an etliche Wagen und Kutschen geschirrt waren.
Auf der anderen Seite des Platzes, in der äußeren Mauer der Stadt, befand sich ein großes Holztor. Es stammte ursprünglich nicht aus Cusco, sondern war ein ziemlich hässliches Anhängsel, das meine Landsleute nach der Eroberung Cuscos an das steinerne Tor der Stadt angefügt hatten.
Direkt vor dem gewaltigen Holztor stand ein großer, flacher Wagen, der von zwei Pferden gezogen wurde, die den Kopf der Stadt zugewandt hatten, weg vom Tor. Auf dem Wagen erkannte ich eine große Kanone, die in die andere Richtung zeigte.
Näher zu uns, an der Basis des Gebäudes,
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