Der Tempel
auf dem wir saßen, bemerkte ich etwa dreißig erbärmlich wirkende, gefangene Inka. Ein langes schwarzes Seil war durch die stählernen Handschellen gewunden, die jeder Gefangene um die Handgelenke trug, und band sie auf diese Weise alle zu einer langen, deprimierten Reihe zusammen.
»Was jetzt?«, wollte ich ängstlich von Renco wissen.
»Wir verschwinden.«
»Wie?«
»Da durch«, erwiderte er und zeigte auf das Tor an der anderen Seite des Platzes.
»Was ist mit dem Eingang durch den Abwasserkanal?«, fragte ich, an die offensichtlichste Fluchtroute denkend.
»Ein Dieb benutzt nie zweimal denselben Eingang«, erwiderte Bassario. »Zumindest nicht, wenn er entdeckt worden ist. Stimmt’s, Prinz?«
»Stimmt genau«, entgegnete Renco.
Ich wandte mich um und taxierte den Verbrecher Bassario. Er war tatsächlich ein ziemlich gut aussehender Mann, trotz seines grimmigen Erscheinungsbildes. Und er lächelte breit und zwinkerte mit den Augen – das Lächeln eines Mannes, der froh ist, an einem Abenteuer teilzuhaben. Ich konnte nicht behaupten, dass ich seine Freude teilte.
Jetzt durchwühlte Renco seinen Köcher. Er zog einige Pfeile hervor, deren Spitzen in Tuch gehüllt waren und wie knollenförmige Köpfe aussahen.
»Gut«, meinte er, blickte sich um und entdeckte eine brennende Fackel an einer nahe gelegenen Mauer. »Sehr gut.«
»Was hast du vor?«, wollte ich wissen.
Renco hörte mich anscheinend nicht. Er starrte zu den drei Pferden hinüber, die unbewacht an der anderen Seite des Platzes standen.
»Renco«, fragte ich nachdrücklich, »was hast du vor?«
In diesem Moment wandte Renco mir das Gesicht zu und ein verzerrtes Lächeln glitt darüber.
***
Die Arme in meine klatschnasse Mönchskutte geschoben, die triefende Kapuze tief über das nasse Haar gezogen, betrat ich den weiten, offenen Platz.
Während ich ihn überquerte, hielt ich den Kopf gesenkt – und trat beflissen beiseite, als Soldaten an mir vorüberliefen, duckte mich rasch, als Pferde in meine Richtung scheuten, und versuchte verzweifelt, keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen.
Renco ging davon aus, dass die Soldaten auf dem Platz noch nicht wussten, dass ein abtrünniger spanischer Mönch – ich – den Inkaräubern beistand. Solange ihnen meine triefende Kleidung nicht auffiel, sollte ich also imstande sein, mich den drei unbewachten Pferden zu nähern und sie zu einer Gasse in der Nähe zu führen, wo Renco und Bassario sie besteigen konnten.
Zunächst jedoch musste ich das Tor freiräumen, was bedeutete, den Karren mit der Kanone aus dem Weg zu bekommen. Diese Aufgabe wäre schwieriger. Dazu musste ich »zufällig« die beiden an den Wagen geschirrten Pferde scheu machen. Deshalb trug ich, verborgen in meinem Ärmel, einen von Rencos scharfen Pfeilen und hielt mich bereit – Gott möge mir vergeben! –, eines der armen Wesen beim Vorübergehen wiederholt zu piken.
Langsam überquerte ich den Platz, sorgsam darauf bedacht, die Augen abgewandt zu halten. Ich wagte nicht, jemanden anzusehen.
Wie auf den anderen Plätzen der Stadt waren auch um diesen Pfähle in den Boden getrieben, auf denen abgeschlagene Köpfe steckten. Das Blut war frisch und tröpfelte von den Pfählen herab. Beim Vorübergehen verspürte ich äußerste Furcht – ein derartiges Schicksal stünde mir bevor, wenn ich nicht bald aus Cusco verschwand.
Vor mir tauchten das Tor und der Wagen samt den beiden Pferden auf. Ich umfasste den Pfeil in meinem Ärmel fester. Noch zwei Schritte und …
» He! Du!«, brüllte eine heisere Stimme hinter mir.
Ich erstarrte, hielt den Blick gesenkt.
Ein großer Soldat mit Bierbauch trat vor mich, stellte sich zwischen mich und die beiden Pferde. Er trug einen spitzen Konquistadorenhelm und seine Stimme war mit Autorität getränkt. Ein kommandierender Soldat.
»Was tust du hier?«, fragte er und ich erwiderte höflich:
»Tut mir Leid, tut mir so Leid … ich bin in der Stadt hängen geblieben und ich …«
» Geh in dein Quartier zurück! Hier ist es nicht sicher. In der Stadt sind Indios. Wir glauben, sie sind hinter dem Götzenbild des Capitanos her.«
Ich konnte es nicht fassen. So nahe war ich meinem Ziel und jetzt schickte man mich weg! Widerstrebend wollte ich gehen, als plötzlich eine starke Hand auf meiner Schulter landete.
»Einen Augenblick, Mönch …«, setzte der Soldat an. Aber er unterbrach sich abrupt, als er die Feuchtigkeit meiner Kutte spürte.
» Was zum …«
Da vernahm ich ein scharfes
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