Der Tempel
durchdringen konnte.
Immer weiter stiegen sie hinauf, folgten dem schmalen, gewundenen Pfad und blickten dabei in schweigender Ehrfurcht zu dem großartigen Felsenturm in der Mitte des Kraters hinüber.
Die schiere Größe des Turms war unglaublich. Er war gewaltig und merkwürdig geformt: oben ein wenig breiter als unten. Die ganze Formation schrumpfte langsam bis zu der Stelle zusammen, wo sie am Grund des Kraters auf den See traf.
Während sie den spiralförmig verlaufenden Weg hinaufstiegen, konnte Race allmählich die Spitze des Felsenturms ausmachen. Sie war abgerundet, kuppelähnlich und völlig mit dichtem Laubwerk bedeckt. Knorrige, triefend nasse Zweige ragten über die Kanten hinaus, ungeachtet des lotrechten, einhundert Meter tiefen Abgrunds unter ihnen.
Die Gruppe näherte sich dem Gipfel des Kraters, wo sie eine Brücke erreichte – vielmehr die Vorrichtung für eine Brücke, die den Pfad mit dem Felsenturm verband.
Sie lag gerade unterhalb des Kamms des Canons, nicht weit entfernt von dem dünnen Wasserfall, der über den Rand der westlichen Wand hinabstürzte.
Zwei flache Steinsimse lagen dreißig Meter voneinander entfernt auf den einander gegenüberliegenden Seiten des Abgrunds. Auf jedem Sims standen zwei steinerne Stützpfeiler. Vermutlich hatte an dieser Konstruktion einst eine Art von Hängebrücke geschwebt.
Die beiden Stützpfeiler auf Race’ Seite des Abgrunds waren abgenutzt und verwittert, wirkten jedoch solide. Und alt , sehr, sehr alt. Race zweifelte nicht daran, dass sie mindestens bis in die Zeiten der Inka zurückzudatieren waren.
In diesem Augenblick sah er die Brücke.
Sie hing an den beiden Stützpfeilern auf der anderen Seite des Abgrunds herab und lag flach an der Felswand des Turms an. Am unteren Ende der Brücke war ein langes, ausgefranstes gelbes Seil befestigt, das in einem weiten Bogen über den Abgrund zu Race’ Sims führte, wo es an einem der Stützpfeiler verknotet war.
Walter Chambers untersuchte das ausgefranste gelbe Seil. »Getrocknetes Gras. Ineinander verhaktes Flechtwerk. Das ist eine klassische Seilkonstruktion der Inka. Es hieß, dass die Einwohner einer Inkastadt, wenn sie gemeinsam ans Werk gingen, innerhalb von drei Tagen eine Brücke errichten konnten. Die Frauen pflückten das Gras und flochten es zu langen, dünnen Schnüren. Daraufhin verbanden die Männer diese Schnüre zu dickeren, festeren Seilabschnitten wie diesem hier.«
»Aber ein Seil kann unmöglich vier Jahrhunderte lang die Elemente überleben«, meinte Race.
»Nein … Nein, wohl kaum«, sagte Chambers.
»Was bedeutet, dass jemand anders diese Brücke gebaut hat«, bemerkte Lauren. »Und zwar erst vor kurzem.«
»Aber weshalb diese ausgefuchste Anlage?«, fragte Race und zeigte auf das Seil, das sich über die Schlucht zum untersten Punkt der Brücke erstreckte. »Warum ein Seil an diesem Ende der Brücke anbringen und das ganze Ding auf der anderen Seite herabfallen lassen?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte Chambers. »Man tut so etwas nur dann, wenn man etwas auf der Turmspitze gefangen halten will … «
Nash wandte sich an Lauren. » Was meinen Sie?«
Lauren spähte zu dem Turm hinüber, wobei ihr der leichte Regenschleier teilweise die Sicht versperrte.
» Er ist hoch genug, sodass der Winkel auf dem NR I passt.« Sie blickte auf ihren Digitalkompass. » Wir sind exakt 632 Meter horizontal vom Dorf entfernt. Unter Einbeziehung des Höhenunterschieds würde ich jede Wette darauf eingehen, dass das Götzenbild da drüben ist.«
***
Van Lewen und Cochrane zogen die Brücke hoch und legten die Enden um die beiden steinernen Stützpfeiler auf ihrer Seite der Schlucht. Jetzt überspannte die große Hängebrücke den Abgrund und verband den wolkenkratzerhohen Turm mit dem spiralförmig verlaufenden Pfad.
Noch immer regnete es.
Zerrissene, grelle weiße Blitze erhellten den Himmel.
»Sergeant«, sagte Captain Scott. »Sicherheitsleine.«
Sogleich holte Van Lewen ein merkwürdig aussehendes Ding aus seinem Rucksack. Es war eine Art silbrig schimmernder Greifhaken. Um seinen Stiel war ein schwarzes Nylonseil gewickelt.
Der große Sergeant befestigte ihn am M-203-Granatwerfer auf dem Lauf seines M-16. Dann zielte er über den Abgrund und feuerte. Mit einem Wuschsch! schoss der Greifhaken heraus und schwang sich anmutig über den Abgrund, wobei er die scharfen silbrigen Klauen ausfuhr und das schwarze Nylonseil hinter sich entrollte.
Nachdem der Haken die Turmspitze
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